Routinen: Gewohnheiten, die uns durch die Krise helfen

In diesem Gastbeitrag der Resilienzexpertin Prof. Dr. Jutta Heller erfahren Sie, wie Sie mit den 7 Resilienzschlüsseln Ihre eigenen Routinen entwickeln, um sich in der Krise zu stärken.

Routinen: Gewohnheiten, die uns durch die Krise helfen
© Clay Banks, unsplash.com

Seit mittlerweile einem knappen Jahr leben wir mit Corona. Schon von Beginn an hat die Pandemie einschneidende Veränderungen mit sich gebracht, die sich seitdem mal stärker, mal weniger stark durch unser Leben ziehen. Und nicht nur bei mir, sondern auch in Gesprächen mit vielen Menschen aus meinem Umfeld stelle ich fest: Unsere Reaktion auf die Krise ändert sich. Am Anfang war da viel Angst zu spüren und eine existenzielle Unsicherheit angesichts der neuen, unbekannten Gefahr – aber auch eine gewisse Aufbruchsstimmung: Die Menschen sangen gemeinsam auf den Balkonen, klatschten jeden Abend für die unermüdlichen Pflegekräfte, gründeten Nachbarschaftshilfen und Einkaufsgemeinschaften für Risikogruppen.

Angst und Ungewissheit sind immer noch da. Die Aufbruchsstimmung aber ist inzwischen bei vielen einer spürbaren Müdigkeit und Erschöpfung gewichen. Wir haben uns an die Einschränkungen gewöhnt und daran, dass sich die Situation ständig ändert und wir uns – teilweise täglich – an neue Bedingungen gewöhnen müssen. Die Krise ist zum Alltag geworden. Und dennoch: Es ist immer noch eine echte Krise, in der wir uns befinden, und das zehrt an unserer Widerstandskraft.

Die 7 Schlüssel zu mehr Resilienz

Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit der Widerstandskraft, also der Resilienz, beim Menschen. Sieben Resilienz-Schlüssel unterstützen uns dabei, mit schwierigen Zeiten zurechtzukommen. Es ist zwar etwas anderes, ob man über einen einmaligen Schicksalsschlag hinwegkommen muss oder über Monate in einer Krise lebt, so wie jetzt. Die Schlüssel, die uns dabei unterstützen, sind jedoch dieselben:

  • Akzeptanz: Es ist, wie es ist.
  • Optimismus: Darauf vertrauen, dass es besser wird.
  • Selbstwirksamkeit: Von seinen Kompetenzen überzeugt sein und Einfluss nehmen.
  • Eigenverantwortung: Für eigene Entscheidungen Verantwortung übernehmen anstatt einen Schuldigen zu suchen.
  • Netzwerkorientierung: Kontakte pflegen und sich bei Herausforderungen Unterstützung holen.
  • Lösungsorientierung: Die Dinge aktiv angehen und sich auf gut Funktionierendes konzentrieren.
  • Zukunftsorientierung: Die Zukunft planen und auf Ziele hinarbeiten.

Entwickeln Sie eigene Routinen und regelmäßige Strukturen

Vertrauen haben, neue Perspektiven entwickeln, loslassen - das ist ganz schön viel verlangt, wenn man gerade den Boden unter den Füßen verliert. Im allerersten Moment geht es auch "nur" darum, den Schock zu überwinden. Da ist es gut und hilfreich, sich erstmal nur aufs Funktionieren zu konzentrieren. So war das Anfang 2020, als sich alle im Home-Office und Home-Schooling, in ganz kleinen Kontaktkreisen und in den neuen Hygieneregeln zurechtfinden mussten. Dann aber wird eine regelmäßige Struktur ganz wichtig. Man weiß aus der Arbeit mit Traumapatient*innen, dass ihnen ein klarer Tagesablauf und Routinen am besten tun: um acht Uhr Frühstück, um zwölf Uhr Mittag-, um 18 Uhr Abendessen und danach eine Stunde spazierengehen. Das gibt Halt, denn gerade diese Struktur geht mit traumatischen Erlebnissen ja verloren, zum Beispiel wenn Menschen ihre Arbeit oder sogar eine nahestehende Person verlieren. Und erst dann, mit festem Halt unter den Füßen, können sie wieder Kraft schöpfen und weiter voraus nach vorn schauen.

Auch in der Corona-Krise erleben wir Verluste, für deren Verarbeitung wir Zeit brauchen: Die gewohnte Arbeitsstruktur ist bei den meisten weggebrochen, und der intensive Kontakt zu bestimmten Bezugspersonen ist nicht mehr möglich. Deswegen haben jetzt auch viele Menschen ihre eigenen "Corona-Routinen" entwickelt, an denen sie sich festhalten können und die sie als extrem hilfreich erleben.

Meine persönliche Routine ist es beispielsweise geworden, morgens gleich nach dem Aufwachen zehn Minuten zu schreiben. Und zwar alles, was mir in den Kopf kommt: Traumerinnerungen, Pläne für den Tag, Gedanken – dieses so genannte "Journaling" macht meinen Kopf frei, so dass ich offen in den Tag starten kann. Ein anderes Beispiel sehe ich bei einem befreundeten Paar, das sich ein Sauna-Zelt für seine Terrasse gekauft hat (ja, sowas gibt’s wirklich!). Die schließen jetzt zweimal die Woche ihren Tag mit einer Runde Schwitzen ab. Solche Routinen geben nicht nur Struktur, sie markieren außerdem bestimmte Zeitpunkte im Tages- und Wochenablauf, auf die wir uns freuen können. Schließlich ist der Lockdown-Alltag eintöniger sonst, weil wir weder ins Restaurant noch ins Fitnessstudio gehen, ja nicht einmal weiter entfernt lebende Verwandte besuchen können.

So können Routinen Ihre Resilienzschlüssel stärken

Es gibt viele solcher Routinen, mit denen Sie auch gezielt Ihre Resilienzschlüssel stärken können und damit besser durch diese lang anhaltende Krise kommen. Ich mache Ihnen für jeden Schlüssel einen Vorschlag, von dem Sie sich inspirieren lassen können.

1. Resilienzschlüssel Akzeptanz: Es ist, wie es ist.

Alles was wir wahrnehmen bewerten wir blitzschnell und machen uns anschließend unsere Gefühle. Das ist Wahr-Gebung. „Wenn Sie die Art und Weise ändern, wie Sie die Dinge betrachten, dann ändern Sie die Dinge, die Sie betrachten“, ist ein Zitat von Max Planck. Daher können wir uns entscheiden, welche Bewertung wir den Dingen geben. Wenn wir einen Unfall hatten, dann ist das so. Aber wie wir damit umgehen, das können wir entscheiden. Dafür braucht es als 1. Schritt ein Annehmen der Situation anstelle von Hadern. Gedankenspiralen á la „hätte ich doch…“ oder „wenn doch nur…“ helfen nicht weiter.

Eine hilfreiche Routine für diesen Resilienzschlüssel ist es, jeden Tag zehn Minuten lang eine Atemübung zu machen: Suchen Sie sich einen ruhigen Sitzplatz auf einem Stuhl oder auf dem Boden. Machen Sie Ihren Rücken lang und aufrecht. Heben Sie dreimal in Ihrem Atem-Rhythmus die Schultern und lassen sie dann wieder fallen. Beobachten Sie dann einfach, wie Sie ein- und ausatmen. So fangen Sie an, ganz im Hier und Jetzt zu sein und den Augenblick anzunehmen wie er ist. Nach und nach wird es Ihnen gelingen, auch andere Situationen leichter zu akzeptieren.

2. Resilienzschlüssel Optimismus: Darauf vertrauen, dass es besser wird.

Positive Emotionen sind eher mit einer Weitung und Öffnung verbunden, negative Emotionen hingegen führen dazu, dass wir uns zusammenziehen, uns verspannen und verschließen. Wer sich seine Emotionen bewusst macht, erkennt, welche vorherrschend sind und kann sie in gewissem Maß steuern. Andererseits können wir zur Steuerung unserer Emotionen auch ganz einfach unseren Körper nutzen. Gewöhnen Sie sich als Routine an, während der Arbeitszeit jede Stunde einmal aufzustehen. Richten Sie sich auf, strecken Sie die Arme seitlich aus, um Ihren Brustkorb zu weiten.  Hilfreich ist, wenn Sie dabei bewusst ein- und kräftig wieder ausatmen. Diese kleine Körperübung wird Ihre Sichtweise gleich ins Positive verändern.

3. Resilienzschlüssel Selbstwirksamkeit: Von seinen Kompetenzen überzeugt sein und Einfluss nehmen.

Wenn wir an unsere eigene Fähigkeit glauben, neue Aufgaben zu bewältigen, dann gelingt uns das meistens auch. Wenn wir uns stattdessen bei neue Anforderungen immer wieder einflüstern: "Das ist nicht gut genug", "Überschätz´ dich nicht" etc.,  dann gerät unser Körper in einen Zustand der Daueranspannung. Die Schmerzen, die wir dabei im Kopf, im Nacken oder im Rücken verspüren, können sogar leicht chronisch werden. Eine gute Routine für die Stärkung des Resilienzschlüssels Selbstwirksamkeit ist zum Beispiel eine feste Sporteinheit an einem bestimmten Wochentag. Es stärkt Ihre Selbstwirksamkeit, wenn Sie Ihren Fortschritt bemerken und wie viel besser Sie nach einigen Wochen schon geworden sind. Legen Sie Ihre Sprunglatten jedoch nur so hoch, dass es mehr Freude macht darüber zu springen als drunter durch zu krabbeln!

4. Resilienzschlüssel Eigenverantwortung: Für eigene Entscheidungen Verantwortung übernehmen anstatt einen Schuldigen zu suchen.

Eine weitverbreitete Haltung gegenüber schwierigen Situationen ist es, immer den anderen die Schuld zu geben. Doch das löst die Konflikte nicht, und wir verweilen viel zu lange bei dem negativen Gefühl. Daher müssen wir unsere Einstellung ändern und Verantwortung für unseren Anteil an den Schwierigkeiten übernehmen. Wenn wir unsere Verhaltensmuster ändern, wenn wir unsere Reaktionen auf andere Menschen ändern, dann ändern sich zwangsläufig auch die anderen.

Eine hilfreiche Routine dafür ist es, wenn Sie 15 Minuten früher aufstehen als bisher und die Morgenroutine (duschen, Kaffee trinken, die Kinder wecken …) in Ruhe durchführen anstatt  alles unter Zeitdruck zu tun und dann gestresst aus der Tür zu hetzen. So erlangen Sie die Verantwortung für Ihre Laune beim Start in den Tag zurück.

5. Resilienzschlüssel Netzwerkorientierung: Kontakte pflegen und sich bei Herausforderungen Unterstützung holen.

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir brauchen Kontakte und wir sollten uns trauen, um Hilfe und Unterstützung zu bitten und diese anzunehmen. Das ist ein Ausdruck von Stärke. Es gibt leider viel zu viele Menschen, die sagen: Ich krieg das allein hin. Dabei hilft der Blick von außen auch dabei, uns auf neue Lösungen und neue Wege zu bringen, wie es weitergehen kann. Hilfreich ist ein stabiles und wertschätzendes Umfeld, und die Routine des Netzwerkens können Sie auch in Zeiten der Kontaktreduktion erhalten: Legen Sie regelmäßige Zeiten für Telefonate mit Freund*innen und Familienmitgliedern fest oder verabreden Sie sich zum wöchentlichen gemeinsamen Online-Brettspielen.

6. Resilienzschlüssel Lösungsorientierung: Die Dinge aktiv angehen und sich auf gut Funktionierendes konzentrieren.

Ausgehend von der Annahme, dass Probleme grundsätzlich gelöst werden können, sollten wir den Kopf nicht hängenlassen sondern wortwörtlich mehr nach vorn blicken. Oft ist es hilfreich, Probleme mit Abstand zu betrachten. Eine Routine, die Sie dabei unterstützt, ist es, wenn Sie jeden Tag über Ihren Tellerrand hinausblicken und etwas Neues ausprobieren, was Sie sonst nicht tun. Schon ein neuer Weg in den gewohnten Supermarkt trainiert Ihre Lösungs-Orientierung!

7. Resilienzschlüssel Zukunftsorientierung: Die Zukunft planen und auf Ziele hinarbeiten.

Wie oft planen wir nur kurzfristig, aber haben keinen konkreten Plan für unser Leben? Und dass solche kurzfristigen Planungen ganz leicht von heute auf morgen über den Haufen geworfen werden können, hat uns das neuartige Virus gerade wieder gezeigt. Entscheidend für unsere Zukunftsplanung ist, ein großes Ziel beziehungsweise mehrere Ziele zu haben und zu wissen, was wir wollen. An diesem Ziel können wir uns orientieren, auch wenn wir dafür vielleicht auf einmal einen anderen Weg als den geplanten einschlagen müssen. Gewöhnen Sie sich an, am Vorabend jeden Tages drei Tagesziele für den nächsten Tag festlegen, die in Beziehung zu Ihren Lebenszielen stehen. Das stärkt den Resilienzschlüssel Zukunfts-Orientierung, weil Sie sich auf Ihre wichtigsten Ziele konzentrieren.

Viele dieser Routine-Vorschläge stammen übrigens aus meinem Onlinekurs Resilienz. In diesem Kurs habe ich noch viele weitere Übungen und Videos zusammengestellt, mit denen Sie sich stärken können. Auch das können Sie sich zu einer hilfreichen Routine machen: Nehmen Sie sich Zeit für sich, erfahren Sie Neues und beobachten Sie an sich selbst, wie Sie sich dabei weiterentwickeln. Und irgendwann werden wir zurückblicken und uns daran erinnern, dass wir während der Corona-Krise zwar eine schwere Zeit hatten, aber vor allem daran, wie gut wir diese Zeit gemeistert haben.

Routinen reduzieren Komplexität

  • Routinen machen unabhängig: Durch das Einführen von Routinen müssen wir uns an bestimmten Stellen keine Gedanken mehr machen, wie unsere Reaktion auf veränderte Umstände ausfällt. Die Entscheidung für das Verhalten ist unabhängig vom Äußeren: "Am Dienstag drehe ich meine Runde durch den Park, egal ob es regnet oder nicht." Nach N. Luhmann in seinem "Lob der Routinen" (1964) sind Routinen deswegen entscheidend für Stabilität in einer unkontrollierbaren Umwelt (auch wenn Luhmann sich dabei auf Organisationen bezieht).
  • Routinen setzen Handlungsimpulse: Viele Routinen haben einen Auslöser, zum Beispiel: "Wenn ich meine Schultern verspanne, dann stehe ich auf und atme tief durch." Dadurch lösen sie im richtigen Moment das Verhalten aus, das uns guttut.
  • Routinen sind Taktgeber: Wenn Tagesstrukturen verwischen, beispielsweise weil fixe Arbeitszeiten mit Hin- und Rückfahrt zum Büro wegfallen, können Routinen trotzdem bestimmte Tagesabschnitte einläuten. So kann der Tagesabschnitt "arbeitsfreier Abend" mit dem Aufschreiben von drei positiven Tagesaspekten beginnen.
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Ingrid Weis schreibt am 07.03.2021

Am Anfang von Corona ging es mir erst einmal wie einem Huhn bei Gefahr, ich duckte mich und blieb reglos liegen (sinngemäß) und wartete was da alles kommt. Es war wie eine Schockstarre in die ich verfiel. Lange Zeit später richtete ich mich auf den Schutz von Familie und mir ein und kaufte moderat Lebensmittelvorräte ein, das alles immer noch unter dem Schock. Ich brauchte ein dreiviertel Jahr bis ich wieder klar denken und handeln konnte. Jetzt steht an erster Stelle Eigen- und Fremdschutz durch Maske, Abstand, Hygiene und verantwortungsvollem Umgang mit dem "Frei sein", d. h. Urlaub, Ferien, Party, Menschenansammlungen usw. Es liegt in der Hand eines Jeden von uns, einen Beitrag zu leisten gegen Corona durch disziplinierte Eigenverantwortung. Der Staat kann nur die Richtung geben, wir müssen erkennen und durchführen, was zum Schutz von uns selbst und den anderen führt und die Coronazahlen sinken lässt. Seid geschützt und behütet...


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