Das Empty Nest-Syndrom überwinden

Wenn Kinder von zu Hause ausziehen, ist der Abschied für die Eltern oft schmerzhaft. Dieser ABC-Beitrag zeigt, wie es zum Empty Nest-Syndrom kommt und wie es gelingt, aktiv einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.

Das Empty Nest-Syndrom überwinden
© PAL Verlag, unter Verwendung eines Fotomotivs von unsplash.com

Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.

Was schon Goethe bewusst war, ist auch den meisten Müttern und Vätern von der Geburt ihres Kindes an klar. Doch wenn es dann wirklich einmal so weit ist und der Auszug der Kinder ansteht, ist es nicht immer so einfach, sie aus dem geborgenen Nest wegfliegen zu lassen.

Abschiede sind oft mit dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts verknüpft. Wenn die Kinder aus dem Elternhaus ausziehen, ist plötzlich alles anders. Beginnen die einen Eltern voller Tatendrang sofort damit, das Kinderzimmer zur Nähstube oder zum Medienraum umzuwandeln, fallen die anderen in eine mehr oder weniger tiefe Krise, die gekennzeichnet ist von Leere und Abschiedsschmerz.

Definition: Was ist das Empty Nest-Syndrom?

Der Begriff Empty Nest-Syndrom (Leeres Nest-Syndrom) wurde in den 1960er Jahren von amerikanischen Soziologinnen und Soziologen geprägt. Es handelt sich dabei um die Zeit während und nach dem Auszug der Kinder und dem damit verbundenen Abschied von einer Lebensphase, die von tiefen Veränderungen bestimmt ist und bei vielen Müttern und Vätern als schmerzhaft wahrgenommen wird. Die Symptome des Empty Nest-Syndroms gleichen denen anderer Abschieds- und Trennungsprozesse: 

Beginnt für die Kinder eine Zeit der Selbstfindung, der Selbständigkeit und Autonomie, so erleben die Eltern oft eine Zeit der Leere, der Trauer, der Einsamkeit und Verlassenheit. Ein ambivalentes Gefühl macht sich breit, denn die meisten Eltern gönnen ihren Kindern die neuen Freiheiten, unterstützen sie bei Studium oder Ausbildung und sind stolz auf die Leistungen und Zukunftspläne ihrer Sprösslinge. Auf der anderen Seite müssen sie jetzt aber auch loslassen. Und das fällt oft schwer.

Durchschnittlich zwanzig Jahre haben sie ihre Kinder großgezogen, haben alle Entwicklungsschritte miterlebt, haben unterstützt, getröstet und ermahnt. Und dann kommt der Schnitt, an dem die Stille im Haus unüberhörbar ist und sie sich sogar nach den herumliegenden Klamotten und der lauten Musik zurücksehnen. Die alten Rituale funktionieren nicht mehr, der Alltag ist ein anderer und oft entsteht dann eine innere Leere, die in eine Sinnkrise mündet.

Der Abschiedsschmerz nach dem Ablösungsprozess

Dabei ist der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus genau genommen nur der letzte Schritt in einem sukzessiven Ablösungsprozess der Kinder von den Eltern. Dieser ist ganz normal und notwendig. Aber auch der Abschiedsschmerz ist für eine gewisse Zeit normal und okay.

Zusätzlich sehen sich die Eltern mit dem eigenen Älterwerden konfrontiert. Man muss sich vielleicht nicht neu erfinden, aber doch einiges ändern, um seinem Leben einen neuen Sinn jenseits der Kinder zu geben. Gerade Eltern, die sich ganz der Erziehung des Nachwuchses gewidmet haben, fällt der Wechsel von aktiver zu passiver Elternschaft oft schwer.

Auch in der Partnerschaft kriselt es oft und es gilt, sich auch hier Veränderungen bewusst zu machen. Sind die Kinder aus dem Haus, werden viele Paare auf sich selbst zurückgeworfen und müssen das erste Mal seit der Geburt der Kinder wieder zu zweit klarkommen. Das gemeinsame ‘Projekt Kind’ ist abgeschlossen, die Beziehung muss mit neuen, gemeinsamen Inhalten gefüllt werden. Dieser Prozess kann eine Ehe oder Partnerschaft inspirieren und zum Aufblühen bringen. Wenn aber keine Gemeinsamkeiten gefunden oder reaktiviert werden können, kommt es oft auch zu Trennung und Scheidung.

8 Tipps, wie du lernen kannst, das Empty Nest-Syndrom zu überwinden

Tipp 1: Nehme dir Zeit für Abschied und Trauer

Bei Abschieden im Leben Schmerz und Trauer zu empfinden, ist ganz normal. Nehme dir die Zeit, die du benötigst, und lasse dich nicht von außenstehenden Personen beeinflussen. Lasse deine Gefühle zu und höre in dich hinein: Was tut dir gut? Was hilft dir loszulassen? Nur du selbst kannst bestimmen, wie lange du für die Verarbeitung des Abschieds brauchst. Dabei können dir auch die ‘4 Phasen des Abschieds’ helfen.

Tipp 2: Mache dir die Veränderungen bewusst

Die Kinder gehen neue Wege, mach auch du dich auf zu neuen Ufern. Mit dem Auszug der Kinder beginnt auch für dich ein neuer Lebensabschnitt. Nehme die Veränderungen bewusst wahr und reflektiere die neue Situation. Stelle dir Fragen, was du von deiner Zukunft, in denen die Kinder eine andere Rolle spielen, erwartest. Was kann ein neuer Lebensinhalt sein? Was möchtest du noch erreichen? Welche Ziele möchtest du verfolgen? Gibt es Projekte und Wünsche, die du vielleicht bei der Geburt deiner Kinder aus den Augen verloren hast, und für die jetzt wieder Zeit und Raum ist?

Und denke daran: Wenn du die neue Situation akzeptierst und neue Chancen und Möglichkeiten für dich darin erkennst, wirst du auch für dein Leben mehr Freude und Zufriedenheit entwickeln.

Tipp 3: Sorge dich weniger und vertraue mehr

Deine Kinder werden erwachsen und brauchen dich weniger. Versuche das zu akzeptieren und kontrolliere sie nicht. Mache dir nicht zu viele Sorgen, sondern vertraue deinen Kindern. Du hast ihnen in all den Jahren das Rüstzeug für ein eigenständiges Leben mitgegeben.

Tipp 4: Kein Abschied für immer: Entwickle eine neue Beziehung zu deinen Kindern

Mache dir klar, dass der Auszug deiner Kinder zwar eine Veränderung bedeutet, aber dass er in den meisten Fällen kein Abschied für immer ist. Eltern bleiben immer Eltern, Kinder immer Kinder. Nur die Qualität der Beziehung ändert sich, und das meist zum Positiven. Man bleibt sich emotional nahe, hat aber die nötige Distanz, um auf Augenhöhe zu agieren. Oft verbessern sich Eltern-Kind-Beziehungen sogar durch die räumliche Trennung erheblich. Social Media kann hier auch seinen Teil beitragen: Eltern und Kinder sind über Facebook befreundet und die Chats in der WhatsApp-Familiengruppe sind oft ein einfacher Weg der Kommunikation.

Tipp 5: Betrachte deine Partnerschaft neu

Auch für die Ehe oder Partnerschaft bedeutet der Auszug der Kinder eine tiefgreifende Veränderung. War man bisher vor allem mit der gemeinsamen Kindererziehung beschäftigt und hatte kaum Zeit für die Beziehung, ist es nun genau andersherum. Oft entsteht dann ein Vakuum, das neu gefüllt werden muss. Welche Gemeinsamkeiten gibt es noch außer den Kindern? Habt ihr noch gemeinsame Ziele und welche? Welche Hobbys könnt ihr zu zweit neu entdecken? Nicht immer gelingt der Neustart der Beziehung. Manche Paare haben sich zu sehr auseinander gelebt und trennen sich, wenn der gemeinsame Lebensinhalt ‘Kinder’ wegfällt. Für viele Paare birgt die neue Lebensphase aber auch eine Chance, sich nochmal neu kennenzulernen und die Partnerschaft auf die nächste Stufe zu heben.

Tipp 6: Spreche mit Freund:innen und anderen Eltern über deine Gefühle

Vielleicht fällt es dir schwer, aktiv zu werden, wenn du dich gerade traurig und antriebslos fühlst. Gebe dir einen Ruck, es lohnt sich. Erzähle engen Vertrauten und Freund:innen von deinen Gefühlen und Sorgen. Oft hilft es schon, sich mitzuteilen und ein empathisches Gegenüber zu haben. Und vielleicht steckt ja eine Freundin oder ein Freund in einer ähnlichen Situation und kann dich umso besser verstehen.

Tipp 7: Suche dir neue sinnstiftende Aufgaben und Aktivitäten

Das Kinderzimmer zum Yogaraum oder Heimkino umfunktionieren, die Küche renovieren, das Bad neu streichen: Viele Eltern beginnen den neuen Lebensabschnitt auch mit räumlichen Veränderungen. Eine gute Idee, denn das schafft auch Raum für neue Gedanken und das Loslassen wird einfacher. Außerdem hast du jetzt ein neues Gut und das im Übermaß: Zeit. Vielen fällt es gar nicht leicht, die neue Freizeit zu genießen. Möchtest du endlich deinen Garten auf Vordermann bringen? Oder lieber die Welt bereisen, jetzt, wo die Schulferien keine Rolle mehr spielen? Überlege, was dir Spaß macht. Welche Hobbys wolltest du immer schon einmal ausprobieren und hatten nie Zeit dafür? Gibt es Aktivitäten, die dich vor den Kindern erfüllt haben und die du dann aus den Augen verloren hast? Welche Projekte oder Wünsche möchtest du gemeinsam mit deiner Partnerin oder deinem Partner verwirklichen?

Tipp 8: Hole dir Hilfe in Selbsthilfegruppen oder bei einer Psychotherapie

Wenn du merkst, dass du nicht alleine mit dem Abschied von deinen Kindern zurechtkommst und dein Leidensdruck zu hoch wird, zögere nicht, dir Hilfe zu holen. Inzwischen gibt es einige Selbsthilfegruppen für Menschen mit Empty Nest-Syndrom.

In schweren Fällen kann sich die Krise auch zu einer Depression ausweiten. Achte auf körperliche und psychische Symptome, die länger andauern.

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