Seelische Krisen

Seelische Krisen nehmen wir als belastend wahr. Hinter ihnen können sich auch Chancen verbergen, wenn wir unsere Einstellung zu ihnen verändern. Wir durchlaufen auf dem Weg durch die Krise verschiedene Phasen. Wissen über den Umgang mit Krisen kann uns helfen, mit ihnen besser umzugehen.

Seelische Krisen

Was verstehen wir unter einer seelischen Krise?

Immer geraten wir unfreiwillig in eine Krise. Krisen sind Einschnitte in unserem Leben, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Sie können uns alle treffen und wir alle haben sie sicher schon erlebt.

  • Sie werden z.B. durch ein für uns unerwünschtes, trauriges oder niederschmetterndes plötzliches oder vorhersehbares äußeres Ereignis ausgelöst, das uns belastet, unsere Bewältigungsmöglichkeiten zu übersteigen scheint oder mit dem wir nicht unmittelbar umzugehen wissen. Der Psychiater Johan Cullberg prägte den Begriff der traumatischen Krise, z.B. im Falle von plötzlichen Verlusten wie Tod, Krankheit oder Trennung oder anderen traumatischen Erlebnissen, die uns zunächst ohnmächtig und erstarrt zurücklassen können. 
  • Auch berufliche oder finanzielle Herausforderungen können uns an Grenzen stoßen lassen, z.B. wenn wir überlastet sind, uns in finanzieller Ungewissheit befinden oder sogar den Job verlieren. 
  • Schließlich gibt es Ereignisse wie Hochzeit oder Umzug, die zwar per se positiv sind, uns aber dennoch Kräfte abverlangen bzw. uns in der Gesamtheit aller zu bewältigenden Aufgaben überlasten können.
  • Auch verbinden wir verschiedene Lebensabschnitte mit spezifischen Herausforderungen, die wir als seelische Krise erleben können.  Zum Beispiel die Identitäts- und Rollenfindung als Jugendliche, die berufliche und familiäre Etablierung im Erwachsenenalter, Sinnfragen und mögliche zunehmende gesundheitliche oder soziale Veränderungen, wenn wir älter werden – wie z.B. die Pensionierung, geringere Mobilität oder als reduziert erlebte Kontaktmöglichkeiten, zunehmende körperliche Probleme, größere Abhängigkeit von Angehörigen oder Institutionen.

Welche Rolle spielen unsere Einstellungen und Gedanken für die Wahrnehmung einer seelischen Krise?

Neben dem, was uns äußerlich geschieht, spielt auch eine Rolle, wie wir innerlich damit umgehen. Sehen wir beispielsweise selbst, dass eine Trennung unausweichlich ist, wird uns der Weggang des Partners oder der Partnerin vermutlich weniger stark treffen, als wenn wir völlig unvorbereitet und dagegen sind. Wenn wir die eigene Pensionierung herbeisehnen und dafür schon zahlreiche Pläne entwickelt haben, werden wir anders darauf reagieren, als wenn wir am liebsten weiterarbeiten möchten. 

Es gibt allerdings Situationen, die für alle Menschen einen bedeutenden Einschnitt darstellen würden, z.B. wenn wir oder ein lieber Mensch um uns krank werden, wir in unserem Handlungsradius eingeschränkt sind oder einen geliebten Menschen verlieren. In diesem Fall spielt eine Rolle, ob und wie wir unsere gebliebenen Ressourcen nutzen, inwiefern wir sehen können, was uns noch geblieben ist, und wie sehr wir glauben, dass am Ende des Tunnels auch wieder Licht kommt. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern ist ein Prozess.

Wie äußert sich eine seelische Krise?

Wenn wir uns an eine Lebenskrise erinnern oder sie selbst gerade erfahren, wissen wir genau, was sie in uns ausgelöst hat oder auslöst, welche Gedanken und Gefühle wir erlebten oder erleben. Insbesondere äußert sich eine Krise durch emotionalen und mentalen Stress. Es gibt Zeiten, in denen wir den Eindruck haben, die Krise nicht allein durchstehen zu können, wenn sie uns besonders hart trifft. 

Wenn wir z.B. mit einem Verlust zurechtkommen müssen, sind wir in einem emotionalen Ausnahmezustand. Wir geraten in ein Gefühlschaos aus Verzweiflung, Angst, Wut, Selbstmitleid, Schuldgefühlen, Depressionen, Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Insbesondere, wenn sich die seelische Krise chronifiziert, können wir anfälliger für psychische (und körperliche) Probleme sein. 

Wir haben eher katastrophisierende und negative Gedanken wie: „Das wird nie wieder etwas“, „Wie soll ich das aushalten“, „Warum ich?“. Vielleicht werden wir auch gleichgültiger und verhalten uns in der Folge leichtsinniger, weil uns alles unbedeutender erscheint. Spätestens in diesem Fall ist professionelle Unterstützung zentral. 

Wir erleben es so, dass wir zunächst aus unserem gewohnten Trott, ja vielleicht sogar „völlig aus der Bahn“ geworfen werden. Wir sind nicht mehr in unserer Mitte, sondern „funktionieren“ einfach oder eben auch nicht mehr. Es fällt uns in solchen krisenhaften Phasen schwerer, wie üblich konzentriert unseren Aufgaben nachzugehen, Kontakte zu pflegen oder fröhlich zu sein, rauszugehen, den Tag zu bewältigen oder unser Leben zu gestalten.

Wie verläuft eine seelische Krise?

Der Verlauf hängt u.a. vom Ereignis selbst sowie unseren Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten ab. Die seelische Krise durchlaufen wir üblicherweise in Phasen, denen sich auch Cullberg gewidmet hat.

Zu Beginn haben wir Schwierigkeiten, die Situation zu akzeptieren oder erleben eine Erstarrung durch einen von uns erlebten Schock. Die seelischen und körperlichen Begleiterscheinungen einer Krise kommen besonders zum Tragen, wenn wir realisieren, was geschehen ist und innerlich dagegen rebellieren. Wir fühlen uns hilflos, beklommen, begehren auf, resignieren. 

Im Bedarfsfall mit oder ohne professionelle Unterstützung können wir das Vergangene und das Auf und Ab des Alltags mit der Zeit allmählich besser verarbeiten. Wir werden offener für Neues und lassen uns wieder auf die Möglichkeiten ein, die das Leben uns bietet (z.B. ein neuer Partner oder eine neue Partnerin, eine neue Aufgabe, ein Umgebungswechsel etc.). Wir sehen wieder Licht im Dunkel und ein neuer hoffnungsvoller Abschnitt beginnt. 

Die seelische Krise als Chance nutzen

Das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht aus zwei Teilen: Der eine Teil symbolisiert Gefahr oder Risiko, der andere Chance. D.h. eine Krise meint in diesem Sinne eine gefährliche Chance. Wenn wir die Chancen von Krisen erkennen und nutzen, dann können wir uns weiterentwickeln und wachsen. 

Wenn wir uns in einer seelischen Krise befinden, betrachten wir sie allerdings meist als Bestrafung, in jedem Fall als belastend. Haben wir eine Krise bewältigt, gelingt es uns eher, im Rückblick etwas Positives daran und die verborgenen Chancen zu erkennen. Wir haben dazugelernt, neue Problemlösefähigkeiten und Perspektiven entwickelt und Abstand zum Geschehen gewonnen: 

  • Vielleicht haben wir durch die Bewältigung an sich erfahren, dass wir über uns hinauswachsen können und dass mehr Kräfte in uns stecken, als wir glaubten. 
  • Vielleicht sind wir dabei auch stärker und selbstbewusster geworden. 
  • Vielleicht wissen wir jetzt besser, was wichtig und unwichtig im Leben ist. 
  • Vielleicht haben wir in dem Zusammenhang ein neues Lebensziel gefunden. 
  • Vielleicht sind wir dankbarer für das, was uns geblieben ist, und lassen uns bewusst von schönen Erinnerungen tragen, wenn wir einen Verlust zu beklagen haben. 
  • Vielleicht leben wir intensiver im Moment, weil wir nie wissen, was morgen ist.
  • Vielleicht begehren wir weniger auf und geben uns mehr dem Lebenszyklus hin. 
  • Vielleicht erleben wir ein tieferes Vertrauen in uns, andere und das Leben.

Wie können wir mit seelischen Krisen umgehen?

Die Natur einer Krise verstehen

Es wird in unserem Leben immer wieder Hürden geben. Das Leben ist gekennzeichnet von Höhen und Tiefen, Neuanfängen und Verlusten, Vorhersehbarem und Unvorhersehbarem. Diese Erkenntnis allein kann helfen, mit Widrigkeiten umzugehen und sie für uns als Entwicklungsmöglichkeit zu nutzen. Dazu gehören unter anderem Hingabe und Geduld. Auch kleinere Widrigkeiten des Alltags sind dafür ein gutes Lernfeld. Und: Die Bewältigung einer seelischen Krise benötigt Zeit und Geduld. So wie ein Baum nicht von heute auf morgen wächst, so braucht unsere Seele Zeit, um zu heilen. 

Liebevoll zu uns selbst sein

Es ist wichtig, dass wir, was immer auch geschehen ist, liebevoll zu uns sind – wie zu einer guten Freundin oder einem guten Freund. Manchmal neigen wir dazu, uns in krisenhaften Momenten selbst zu beschuldigen, z.B. wenn wir verlassen werden oder weil wir Momente verpasst haben, die so nicht wiederkommen, weil wir uns vielleicht eines möglichen Fehlers bewusst geworden sind, oder weil wir meinen, solche Dinge immer wieder zu erleben. Doch Krisen werden immer multifaktoriell verursacht, manchmal „passieren sie einfach“. Je weniger wir an der Krise „haften“, sondern sie frei fließen lassen, desto eher lernen wir, sie anzunehmen, alle damit zusammenhängenden Gefühle ganz zu durchwandern und uns dabei selbst zu ermutigen.

Unsere Gedanken für uns sprechen lassen

Unsere Gedanken können unsere größten Unterstützer oder Saboteure sein. Gerade in Zeiten einer Krise durchwandern wir nicht selten ein Gedankenchaos mit vielen offenen Fragen, Unsicherheiten und Zweifeln. Statt uns zu fragen "Warum ich?", frage dich: "Was kann ich tun, um wieder glücklich zu werden?", oder "Was habe ich an Möglichkeiten, mein Leben neu zu gestalten?".

Unsere Resilienz stärken

Ganz wichtig für die Bewältigung von seelischen Krisen ist, dass wir über eine gute Resilienz verfügen oder lernen, sie zu steigern. Der wichtigste Faktor einer guten Resilienz ist die Hoffnung, Krisen meistern zu können. Wenn wir uns aufgeben, wenn wir uns suggerieren, zu schwach zu sein, dann fühlen wir uns entsprechend schwach und hoffnungslos. Um uns Mut zu machen, können wir uns daran erinnern, wie wir vergangene Hürden genommen oder Schicksalsschläge bewältigt haben und was uns dabei geholfen hat. Auch über das Lesen von Erfahrungsberichten und psychologischen Ratgebern können wir Mut und Hoffnung steigern. Andere gründen eine Selbsthilfegruppe oder nehmen an einer bestehenden Selbsthilfegruppe teil. Indem wir unser Leid teilen und erleben, wie andere damit umgehen, können sich neue Lösungswege auftun. Für viele ist es tröstlich, Menschen zu treffen, die in einer ähnlichen Situation waren und sie bereits überwunden haben. "Wenn er oder sie das geschafft hat, dann könnte mir das ja auch möglich sein!" Frage dich: „Gibt es im Freundes- oder Bekanntenkreis jemanden mit ähnlichen Erfahrungen, an den oder die ich mich wenden kann?“ Nicht zuletzt kann eine Psychotherapie dabei unterstützen, eine Krise in eine Chance zu verwandeln.

Vorboten erkennen

Erkennen wir Zeichen einer seelischen Krise rechtzeitig, können wir bewusster und frühzeitiger Gegenmaßnahmen ergreifen und ihr sogar vorbeugen. Sind wir z.B. bereits überarbeitet, erinnern wir uns daran, dass wir eine Pause benötigen und es Zeit ist, dass wir uns um uns selbst kümmern. Liegt ein riesiger Berg Arbeit vor uns und wir meinen, es nicht zu schaffen, können wir klein anfangen. Wenn wir an unseren eigenen Ansprüchen zu zerbrechen drohen, können wir unsere Erwartungen herunterschrauben: „Gut ist gut genug!“ Wenn andere Menschen unsere Grenzen überschreiten, können wir lernen, rechtzeitig unsere Grenzen zu wahren. Die Grundlage dafür ist die Kenntnis unserer „Triggersituationen“ und unserer Selbstliebe. 

Uns mit uns lieben Menschen umgeben

Gerade in Zeiten, in denen wir uns nach Unterstützung sehnen, sind liebe Menschen im Umfeld von enormer Wichtigkeit. Wir können dann auch besonders darauf achten, mit wem wir uns umgeben und wer uns Halt gibt. So können wir uns aussprechen, empathisches Feedback, Hinweise und Hilfestellungen bekommen. Wir nehmen einen Moment lang vielleicht sogar Abstand von den Problemen und werden wieder offener für unsere Umwelt. Aktivitäten mit Familie, Freunden und lieben Menschen schenken uns Energie, geben uns Kraft und bringen uns auf neue Gedanken.

Bewegung ins Leben bringen

Das aktive Angehen unseres Lebens kann uns auf einen neuen, vielversprechenden Weg bringen. 
Eine ehrenamtliche Betätigung oder ein Hobby helfen uns dabei, den Blick weg vom Schmerz zu lenken. Wollten wir z.B. schon immer mit Kindern oder älteren Menschen arbeiten, uns aktiv im Tier-, Natur- oder Umweltschutz betätigen oder einem Verein beitreten, können wir uns langsam dafür öffnen. Für manche Menschen ist es hilfreich, sich kreativ zu betätigen, um ihren Schmerz auszudrücken. Sie schreiben Tagebuch oder Gedichte, malen oder töpfern. Wir erleben so wieder Momente des Stolzes und der Freude – einfach, weil wir uns wieder hinausgewagt und neue Eindrücke erhalten haben, die unser Leben bereichern, oder indem wir Dinge tun, die uns freuen. Sportliche Aktivität oder Bewegung sind ein Glücksbringer, der uns nicht nur körperlich fit hält, sondern auch unsere Seele strahlen lässt. Was sagt dir am meisten zu? Ist es Yoga, ein täglicher Spaziergang, Schwimmen oder Gärtnern? Gehe deinen Leidenschaften nach oder entwickele neue für dich.

„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“

Max Frisch

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