Leseproben aus dem Ratgeber "Durch die Krise begleiten": Wie komme ich als begleitende Person mit der Veränderung durch die Krise klar und wie erkenne ich meine Bedürfnisse? Anhand des Modells der "Gewaltfreien Kommunikation" gibt der Beitrag konkrete Hilfestellungen.
Fu?r Begleitende ist es wichtig, nicht nur auf die von der Krise direkt Betroffenen zu achten, sondern auch die eigenen Bedu?rfnisse und Emotionen im Blick zu behalten.
Wie aber kann ich mich konkret sta?rken, wenn ich eine andere Person durch eine Krise begleite? Schließlich erlebe ich die meiste Zeit den Widerspruch, einerseits helfen zu wollen und mich andererseits nicht u?berfordern zu du?rfen. Zudem vergessen die meisten Menschen, die einen anderen durch eine Krise begleiten, dass sie ja auch selbst von der Krise betroffen sind. Daher ist es wichtig, diese besondere Phase im Leben nicht nur irgendwie zu u?berstehen, sondern sich bewusst mit ihr und den Gefu?hlen und Vera?nderungen, die sie hervorruft, auseinanderzusetzen. Denn nicht nur fu?r die Person, die von einer Krise unmittelbar betroffen ist, vera?ndern sich die Welt und der Alltag – auch diejenigen, die Betroffene begleiten, durchleben einen Wandel.
Vera?nderung tritt in den seltensten Fa?llen innerhalb von wenigen Augenblicken ein, wie wenn man einen Lichtschalter beta?tigt und es plo?tzlich hell oder dunkel wird. Sie durchla?uft vielmehr verschiedene Phasen – wie bei einem Dimmer.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich viele Wissenschaftler daru?ber Gedanken gemacht, wie sie den Vera?nderungsprozess definieren und beschreiben ko?nnen. Wir stellen Ihnen hier das Sieben-Phasen-Modell nach Richard K. Streich vor, einem Wirtschaftsprofessor der Fachhochschule Paderborn. Er entwickelte das bekannte Modell der fu?nf Trauerphasen von Elisabeth Ku?bler-Ross weiter, einer schweizerisch-amerikanischen Psychiaterin, die sich in ihren Forschungen vor allem mit dem Sterbeprozess bescha?ftigt hat.
Nach Streich verla?uft eine Vera?nderung, egal ob innerhalb einer Organisation oder eines Individuums, nach einem a?hnlichen emotionalen Muster. Im Folgenden fokussieren wir uns auf den individuellen Vera?nderungsprozess.
In Phase 1, dem Schock oder, etwas positiver formuliert, der U?berraschung, wird die Person mit einer Neuigkeit konfrontiert. Es handelt sich um einen sogenannten Point of no return, denn ab diesem Zeitpunkt ko?nnen die Ereignisse nicht mehr zuru?ckgenommen werden. Auslo?ser fu?r den Vera?nderungsprozess ko?nnen eine Krankheitsdiagnose, das Ende einer Beziehung oder auch eine Ku?ndigung sein. Von diesem Moment an geht es nicht mehr zuru?ck, der Prozess setzt unmittelbar ein. Die Person weiß, dass sich etwas fu?r sie vera?ndern wird, ob sie will oder nicht.
Die Tatsache, dass es nicht zu a?ndern ist, sorgt in Phase 2 fu?r Ablehnung. Die Angst vor der Vera?nderung, vor allem aber die Sorge, dass sich alles zum Schlechten wandelt, sind in dieser Phase bestimmend. Deswegen verleugnen Personen, also auch Begleitende, die von der Krise eines anderen unmittelbar betroffen sind, oft die neuen Ereignisse.
Meist dauert Phase 2 nicht lang, da bald schon Phase 3, die rationale Akzeptanz, einsetzt. Die Person begreift, dass Verleugnung den Wandel nicht aufhalten wird, und sieht ein, dass sie sich selbst vera?ndern muss, um ada?quat auf die Neuentwicklung zu reagieren. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie eine tatsa?chlich tiefgreifende Vera?nderung anstrebt, sondern lediglich oberfla?chliche Anpassungen vornehmen will, um sich situationsbedingt und kurzfristig aus der Lage zu befreien und das "alte" Leben fortfu?hren zu ko?nnen.
Die rationale Akzeptanz geht fließend in die emotionale Akzeptanz der Phase 4 u?ber. Allein kognitiv und vernunftma?ßig eine Vera?nderung hinzunehmen reicht na?mlich nicht aus – eine gefu?hlsma?ßige Auseinandersetzung und echter perso?nlicher Wandel sind gefragt. Naturgema?ß kann es eine Weile dauern, bis eine Person auch emotional "versteht", dass sie ihr gewohntes Verhalten verlassen und sich weiterentwickeln muss.
Wenn der tiefste Punkt durchschritten ist und eine echte Wandlung sowohl rational wie auch emotional einsetzt, beginnt Phase 5, die Phase der Anpassung. Die Person beginnt, mit der Situation umzugehen, entwickelt vielleicht sogar neue Energie und Kraft und legt die Angst vor der Vera?nderung weitestgehend ab. Auch weitere Tief- oder Ru?ckschla?ge ko?nnen sie nicht mehr aus der Bahn werfen, denn sie hat akzeptiert, dass sie die Ereignisse nicht beeinflussen kann – nur ihr Verhalten anpassen.
Diese Erkenntnis la?sst die Person erkennen, dass sie die Vera?nderung meistern, ja sogar u?ber sich hinauswachsen kann. Sie wird souvera?ner und fu?hlt sich emotional stabiler, erwirbt neue Fa?higkeiten und Einsichten. Damit beginnt die Integration der Vera?nderung in den Alltag.
In der letzten Phase des Vera?nderungsprozesses, der Integration, hat die Person nicht nur das Unvera?nderliche, sondern auch ihre Reaktion darauf akzeptiert und ihr Verhalten den Gegebenheiten angepasst. Die Situation, die zu Beginn des Prozesses noch fu?r Aufregung und Ablehnung gesorgt hat, ist mittlerweile selbstversta?ndlicher Teil des eigenen Lebens geworden.
Der von uns vorgestellte Prozess zeigt: Bei einer Vera?nderung spielen eine Menge unterschiedliche, vielleicht sogar widerspru?chliche Gefu?hle eine Rolle. Jedes Gefu?hl, das im Laufe eines solchen Anpassungs- und Vera?nderungsprozesses in Ihnen aufkommt, hat deswegen seine Berechtigung – auch Wut, Verzweiflung oder A?rger, Ablehnung und Nichtwahrhabenwollen. Denn Gefu?hle sind Hinweisschilder auf manchmal verborgene Bedu?rfnisse.
Wie bei der U?bung zum aktiven Zuho?ren bereits erwa?hnt wurde, ho?ren wir nicht immer genau das, was der andere uns sagen will. Aber nicht selten wird durch das Gesagte bei uns ein Gefu?hl ausgelo?st. Wir interpretieren und bewerten ha?ufig die Inhalte des Gespra?chs.
Das Modell der "Gewaltfreien Kommunikation" nach Marshall Rosenberg geht davon aus, dass jedem Gefu?hl ein unerfu?lltes Bedu?rfnis zugrunde liegt. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Gefu?hle, die ein anderer durch das Gesagte bei uns auslo?st, uns darauf hinweisen, dass wir selbst ein Bedu?rfnis haben, das bisher nicht erfu?llt wurde. Sind Bedu?rfnisse erfu?llt, fu?hlen wir uns "gut", sind sie nicht erfu?llt, fu?hlen wir uns "schlecht". Das Motto, das hier zugrunde liegt, ist:
"Ich fu?hle, weil ich brauche …"
Dabei ist es wichtig zu unterscheiden, dass wir selbst fu?r unsere Gefu?hle beziehungsweise Bedu?rfnisse verantwortlich sind. Nichts, was andere tun, la?sst uns etwas fu?hlen, sondern wir fu?hlen selbst. Gefu?hle ko?nnen von den Handlungen anderer ausgelo?st werden, sie werden aber nicht von anderen verursacht. So kann der andere zum Beispiel zu mir sagen: "Ich mach schon die Wa?sche, du brauchst dich nicht darum zu ku?mmern!"
Und ich ko?nnte ho?ren: Der denkt, ich kann nicht richtig waschen. In dem Moment fu?hle ich mich vera?rgert. Der A?rger ist vielleicht Hinweis auf das Bedu?rfnis, gesehen und ernst genommen zu werden oder auch den anderen zu unterstu?tzen.
Die Ursache meiner Gefu?hle sind also meine erfu?llten oder unerfu?llten Bedu?rfnisse. Andersherum verursache ich auch nicht die Gefu?hle von anderen Menschen. Sich das bewusst zu machen, kann ungemein entlastend sein. Fu?r eine gute Kommunikation sind nach Rosenberg vier Schritte notwendig:
1. Schritt (a): Eine klare Beobachtung ohne Interpretation und Bewertung machen (im Beispiel: Er/Sie macht die Wa?sche)
2. Schritt (b): In der Kommunikation seine Gefu?hle erkennen und verstehen (im Beispiel: Ich a?rgere mich.)
3. Schritt (c): Die Gefu?hle mit den Bedu?rfnissen in Verbindung bringen (im Beispiel: Ich mo?chte ernst genommen werden.)
4. Schritt (d): Anliegen formulieren, ohne Kritik und ohne Forderung (im Beispiel: Ich bin vera?rgert, weil ich mich nicht ernst genommen fu?hle. Ich habe den Eindruck, dass du mit der Art, wie ich Wa?sche wasche, nicht zufrieden bist. Ich wu?rde mir wu?nschen, dich mit dieser/meiner Ta?tigkeit unterstu?tzen zu du?rfen.)
Zusammengefasst ergibt die U?bung folgende Reihenfolge: Wenn a, dann fu?hle ich mich b, weil ich c brauche. Deshalb mo?chte ich jetzt gerne d.
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