"Nur noch fünf Minuten!" – diesen Satz hören Eltern oft, wenn sie versuchen, ihr Kind am Abend von Computer, Smartphone oder Konsole loszubekommen. Woran lässt sich erkennen, wann das Computerspielen zur Sucht wird? Dieser Beitrag klärt auf und gibt praktische Hilfestellungen, dazu Tests und Beratungsvideos.
Wenn die Computerspiele Stück für Stück die Freizeitgestaltung eines Kindes oder Jugendlichen übernehmen, machen sich Eltern Sorgen. Nicht zuletzt, seit die Weltgesundheitsorganisation WHO Computerspielsucht als “Gaming Disorder” offiziell als psychische Erkrankung anerkannt hat. Dabei ist nur ein sehr kleiner Teil der Gamer tatsächlich betroffen. In Deutschland und Österreich liegt die Prävalenz je nach Studie zwischen zwei und vier Prozent.
Allerdings verrät ein Blick nach Asien, dass Computerspielsucht in Zukunft noch ein deutlich größeres Problem werden könnte. Dort sind eher zehn Prozent oder mehr von der Sucht nach Games betroffen. Weil Länder wie Japan oder Südkorea oft Vorreiter in technologischen Entwicklungen sind, befürchten Forscher, dass die höheren Zahlen früher oder später auch nach Europa schwappen.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass für die übrigen 96–98 Prozent der Spieler Fortnite, World of Warcraft und Call of Duty nur ein harmloses Hobby bleiben. Die klare Unterscheidung von süchtigem gegenüber normalem Spielen ist wichtig, um nicht einen großen Teil der Bevölkerung zu pathologisieren, also als spielsüchtig einzuuordnen. Die WHO hat klare Kriterien festgelegt, die erfüllt sein müssen, wenn man von einer tatsächlichen Abhängigkeit sprechen will:
Erst wenn diese Symptome vorhanden sind, das Verhaltensmuster gravierende Auswirkungen auf Alltag, Familienleben, seine Freundschaften und Leistungen in Schule oder Arbeit hat, darf man von einer Sucht sprechen. Damit eine kurze Phase mit erhöhter Spielzeit (die sich möglicherweise alleine wieder legt) nicht als Sucht fehlinterpretiert wird, empfehlen die Leitlinien außerdem, dass die Symptome bereits über mindestens zwölf Monate bestehen müssen.
So unterscheidet sich eine Computerspielsucht doch deutlich vom normalen Spielen. Interessanterweise zeigen Studien, dass die reine Spielzeit wenig Aussagekraft hat. Es mag dann "exzessives Spielen" sein, aber trotzdem unbedenklich. Wichtiger ist, den restlichen Alltag zu beobachten:
Lange Zeit wurde in der Wissenschaft darum gerungen, ob Computerspielsucht tatsächlich eine eigenständige psychische Erkrankung ist. Studien zeigen, dass über neunzig Prozent der Computerspielsüchtigen unter einer weiteren psychischen Erkrankung leiden – deshalb wurde diskutiert, ob Computerspielsucht nicht generell als Symptom einer anderen psychischen Grunderkrankung angesehen werden könnte. Die WHO hat sich 2018 gegen dieses Argument entschieden: Computerspielsucht gilt als eigenständige psychische Erkrankung. Trotzdem gibt es in fast allen Fällen Zusammenhänge mit klassischen Störungen. Am häufigsten sind das Ängste (zum Beispeil Soziale Phobie), Depressionen, Persönlichkeitsstörungen (Borderline) und ADHS. Das lässt sich oft einfach erklären:
Wer unter einer sozialen Phobie leidet, fühlt sich online einfach sicherer als in echter Gesellschaft. Zwischen den Spielern bleibt immer etwas Distanz, außerdem muss man sich oft gar nicht mit echtem Namen zu erkennen geben. Sollte dann trotzdem etwas unerwartetes, peinliches und unangenehmes passieren, bleibt der einfache Ausweg, das Spiel einfach zu beenden.
Bei Depressionen hilft Computerspielen, die Traurigkeit zumindest zeitweise zu verdrängen. Einerseits geschieht das durch die einfache Ablenkung, andererseits sind Computer, Konsole und Smartphone immer verfügbar. Vor allem in der Nacht ist das verlockend, weil Depressive oft an Schlafstörungen leiden.
ADHS-Betroffene finden die ständigen Reize, die Aufregung und Spannung in Spielen besonders verlockend. Sie finden in den Computerspielen eine Art "Unnatural Rewards", das bedeutet, die positiven Reize werden durch Spiele viel öfter, schneller und intensiver ausgelöst als das im echten Leben der Fall sein kann.
So können sich Computerspielsucht und Begleiterkrankungen gegenseitig verstärken. Die Betroffenen geraten in einen Teufelskreis. Je mehr sie spielen, desto größer wird die Isolation und Einsamkeit, desto mehr gehen andere Hobbys und Freundschaften verloren. Schließlich steigern sich soziale Ängste und Depressionen immer mehr, weil positive Erfolgserlebnisse verhindert werden. An dieser Stelle kommen Betroffene nicht mehr selbst aus diesem Kreislauf der Sucht heraus.
Schritt 1: Vertrauen Sie Ihrem Gefühl und handeln Sie danach. Sie kennen Ihr Kind am besten und wissen meist intuitiv, was ihm gut tut und wann es ihm schlecht geht. Beobachten Sie Ihr Kind und sprechen Sie mit ihm. Wenn Sie den Eindruck haben, Computerspielsucht könnte für Ihr Kind ein Problem sein, lassen Sie sich professionell beraten.
Schritt 2: Setzen Sie strenge Haushaltsregeln zu Mediennutzung und Computerspiele. Wir leben in einer Gesellschaft, die eine recht naive Einstellung zu Digitalisierung und dem Nutzen von Technologie hat. Studien zeigen, dass sich eine Beschränkung von Online-Zeiten sehr positiv auf die Gesundheit und das psychische Befinden von Kindern auswirkt.
Schritt 3: Scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe zu holen. Es ist immer leichter, früh einzugreifen. Studien zeigen, dass sich eine Computerspielsucht nicht mehr "verwächst". 90 Prozent der Süchtigen sind nach einem Jahr ohne Behandlung immer noch süchtig. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die familiäre und schulische Situation dann aber bereits gravierend verschlechtert. Handeln Sie früh und entschlossen.
Ein erster Ansprechpartner kann durchaus Ihr Hausarzt sein – er kennt Sie, Ihr Kind/Ihren Partner und vielleicht auch Anlaufstellen in Ihrer Nähe. Manche Suchtberatungsstellen können Ihnen ebenfalls Sprechstunden zu Computerspielsucht anbieten. Spezialisierte Psychologen oder Suchtkliniken sind noch recht selten. Dort wären Sie allerdings auch am besten aufgehoben. Diese Spezialisten haben außerdem ein gutes Auge für Begleiterkrankungen. Es ist wichtig, diese richtig zu erkennen und mitzubehandeln, das erhöht die Erfolgschancen massiv.
In der Therapie einer Computerspielsucht lernt der Betroffene auch, von welchen Teilen der Online-Welt er fortan die Finger lassen muss. Heute ist ein komplettes Leben offline unmöglich.
Ein erprobtes und nützliches Therapietool, das auch Sie als Eltern in Absprache mit Ihrem Kind anwenden können, ist die "Ampel". Dabei werden die verschiedenen Teile der Online-Welt den einzelnen Ampellichtern zugeordnet.
Damit kann der Betroffene später gut am gesellschaftlichen Leben teilnehmen – das sich heute eben auch online abspielt. Gleichzeitig soll er langfristig vor einem Rückfall geschützt bleiben.
Eine professionelle Therapie, begleitet durch Psychotherapeuten oder durch psychotherapeutische Kliniken, muss auch mögliche Begleiterkrankungen berücksichtigen. Bei Vorliegen von Depressionen (Antriebslosigkeit, Traurigkeit) sind ebenfalls Instrumente aus der Verhaltenstherapie und in schweren Fällen auch Medikamente (Antidepressiva) eine gute Wahl. Sozialen Ängsten begegnet man mit Skills-Trainings und Übungen im Alltag.
Entspannungsverfahren, wie Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung, können eine bessere Bewältigungsstrategie für Stress und Anspannung sein als Computerspiele. Diese Entspannungsverfahren so zu erlernen, dass sie in Stresssituationen gezielt eingesetzt werden können, verlangt vor allem vom Kindern und Jugendlichen etwas Geduld und Übung. Sinnvoll ist es deshalb, dass Sie als Eltern gemeinsam mit Ihrem Kind ein Entspannungsverfahren einüben. Das schenkt ihnen auch gemeinsame Zeit und ein gemeinsames Erlebnis für Ihre Eltern-Kind-Beziehung.
Wichtig ist, die durch den Wegfall des Computerspiels frei gewordene Zeit sinnvoll zu füllen. Deshalb werde in der Regel mit den Betroffenen konkrete Tages- und Wochenpläne ausgearbeitet und der ganze Tag mit positiven, angenehmen Aktivitäten ausgefüllt. Auch das können Sie als Familie gemeinsam tun. Sprechen Sie darüber, welche Hobbies und Fähigkeiten wiederbelebt oder neue entdeckt werden können. Viele Computerspielsüchtige waren in der Zeit vor der Sucht sportlich oder gingen in ihrer Freizeit konsequent einer bestimmten Aktivität nach. Dann gilt es, dieses alte Hobby zuu reaktivieren.
Nicht zuletzt muss ein soziales Umfeld, ein Freundeskreis wieder aufgebaut werden. Glücklicherweise schaffen viele Süchtige den Wiedereinstieg in ihre alte Clique recht schnell. Sie hatten sich ja nicht im Streit getrennt, sondern eher still und leise verabschiedet.
Eine Therapie von Computerspielsucht endet nicht abrupt. Ein letzter wichtiger Teil davon ist, späteren Rückfällen vorzubeugen. Dafür werden am Ende der Therapie Notfallpläne entwickelt, die Kinder wie Eltern gemeinsam anwenden können:
Für solche kritischen Situationen werden im zweiten Schritt Pläne und Strategien zurechtgelegt:
Im Vergleich zu anderen Süchten verlangt eine überstandene Computerspielsucht langfristig viel mehr Disziplin. Computer und Smartphone bleiben allgegenwärtig, der gute Umgang damit ein ständiger Balanceakt für alle Beteiligten.
Die Anerkennung von Computerspielsucht durch die WHO war ein großer und wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Mit den offiziellen Kriterien fällt es leichter, eine tatsächliche Sucht von exzessivem, aber unbedenklichen Spielen zu unterscheiden. Es ist wichtig, Computerspielsüchtigen Hilfe zu bieten, ohne das Hobby generell zu pathologisieren. Dennoch müssen Eltern, Schulen und auch die Gesellschaft, angefangen bei Familie und Freunden, ein Auge auf diese Entwicklung haben. Eine Computerspielsucht hat gravierende Folgen für die Gesundheit und das Leben des Betroffenen, aber auch für das seines Umfelds. Mittlerweile gibt es passende Therapien und Hilfsangebote. Es liegt an Süchtigen, Angehörigen und Eltern, diese Hilfe anzunehmen.
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