Dieser Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" beschäftigt sich in diesem Beitrag mit der dunklen und hellen Seite ein und desselben Gefühls: Neid. Die gute Nachricht: Du hast die Wahl.
"Warum fällt es mir so schwer, glücklich zu sein, Lebensfreude zu empfinden, selbst in Momenten, in denen es mir an nichts fehlt?" – Diese Frage wird mir gar nicht so selten gestellt. Manchmal verblüffe ich dann den oder die Fragende mit der Antwort: „Weil du süchtig bist!“ Auf den folgenden fragenden bis verständnislosen Blick ergänze ich dann: "Weil du süchtig nach Problemen bist!"
Ja, es ist sehr schwer glücklich zu sein, wenn du Weltmeister darin bist, überall das Haar in der Suppe zu finden. Und wenn du dann auch noch davon überzeugt bist, damit deine Intelligenz, deine besondere Überlegenheit, deinen klaren Blick auf das So-Sein der Welt bewiesen zu haben, wird es dir wirklich schwerfallen, irgendein Glücksgefühl in dir zu empfinden.
Zwei Gefangene in der Zelle schauen in die Ferne.
Der eine sieht das Gitterkreuz,
der andere die Sterne.
Ja, natürlich ist es realistisch, das Gitterkreuz zu sehen, wenn du in einer Zelle sitzt und dein Blick nach draußen geht. Doch was verlierst du, wenn du den Nachthimmel bewunderst und dich am Abendhimmel erfreust, der nahezu unbehindert in deine Zelle dringt? Selbst wenn es deine letzte Nacht wäre? Gewinnst du etwas dadurch, dass du deine Aufmerksamkeit auf das Gitterkreuz richtest?
"Morgen kommt nie!" – Dieser Satz begleitet mich, seit ich ihn erstmals in einer Selbsterfahrungsgruppe hörte. Und er ist so wahr. Nirgendwo außer genau in diesem Moment deines Lebens kann irgendetwas stattfinden. Morgen kommt nie. Denn morgen ist wieder jeder Moment genau hier und genau jetzt und nirgendwo sonst.
Tatsache ist, du leidest nie unter dem, was ist, sondern immer nur unter dem, was deiner Vorstellung nach stattdessen sein sollte. Es wird nie die eine einzige glorreiche Zukunft geben, in der du dauerhafte Glückseligkeit leben wirst. Es wird immer Gelegenheiten geben, den einen oder anderen Aspekt der Realität wahrnehmen zu können, der vom gesetzten Ideal abweicht. Und da im realen Leben alles im Wandel ist und deshalb nichts absolut, geschweige denn ideal ist, kannst du also immer unzufrieden bleiben.
Platon beschrieb diesen Sachverhalt so:
"Jeder konkrete Tisch bleibt immer hinter der Idee des idealen Tisches zurück."
Denn den idealen Tisch gibt es eben nur im Bereich der Ideen. Sobald diese Idee des idealen Tisches das Feld der Ideen verlässt und zum realen Tisch aus Holz oder anderem Material wird, ergeben sich daraus unweigerlich Abweichungen. Hier ein kleiner Kratzer, da eine unebene Maserung, da ein tausendstel Millimeter zu viel oder zu wenig, da ein materialbedingtes unerwünschtes Farbenspiel.
Je mehr du dich darauf spezialisiert hast wahrzunehmen, was anders ist, als es sein sollte, lädst du den Zustand dauerhafter Unzufriedenheit ein. Die Formel für wachsende Lebensfreude dagegen ist sehr einfach:
Beginne damit, das wertzuschätzen, was hier und jetzt da ist – anstatt dich darauf zu konzentrieren, was nicht da ist.
Ersetze deine Sucht, automatisch, fast zwanghaft danach zu suchen, was von deiner Idealvorstellung abweicht, durch die Wertschätzung und Dankbarkeit für das, was da ist. Das schließt natürlich niemals aus, Energie zu investieren in Handlungen, die zu Verbesserungen führen. Verbesserungen anzustreben und zu erreichen, lässt die Wellen der Freude weiter anwachsen. Unzufriedenheit über Fehler und Mängel zu nähren hingegen wirkt wie ein Wellenbrecher für jede Woge der Glückseligkeit.
Richte deine Aufmerksamkeit von früh bis spät auf das, was dir guttut, wofür du aufrichtig dankbar sein kannst. Verbessere jeden Tag das, was du zu verbessern vermagst, anstatt deine Zeit und Lebensfreude zu opfern für das, was du nicht ändern kannst. Und schenke dir wieder die kindliche Begeisterung und Freude an jedem noch so kleinen Veränderungsschritt.
Eine meiner Therapielehrerinnen, die Kanadierin Danie Beaulieu, ermutigte immer wieder dazu, bei der Arbeit an zunehmendem Lebensglück und zunehmender Lebensfreude die vier P´s nicht zu vergessen: „Denk immer an die vier P´s, denk immer an: le P P P P – le Plus Petit Pas Possible“: Denk immer an den kleinstmöglichen Schritt.
Was ist das Kleinstmögliche, das dir an Veränderungen vorzunehmen möglich ist? Was ist die kleinstmögliche Einflussnahme auf das, was jetzt in deinem Leben verbessert werden könnte?Ändere dieses Kleinstmögliche.
Und vergiss nicht zu feiern! Feiere in jedem Moment das, was da ist. Morgen kommt nie. Wenn du etwas ändern möchtest, hin zu mehr Lebensfreude, beginne mit dem dir Möglichen. Selbst wenn es nur das Allerkleinste dir Mögliche sein sollte, kann daraus im Laufe der Zeit etwas sehr Großes an positiver Veränderung werden. Feiere jeden Tag alles, was du hast. Schau auf das, was geht, was du wertschätzen kannst, wofür du dankbar sein kannst, was dir guttut.
Und vergiss nie zu singen – denn singen lässt die Glücksmoleküle in dir tanzen. Und am allerbesten tanzt du gleich mit ihnen mit. Lass dich von mir, Julio Iglesias und Ludwig van Beethoven zu einem der legendären Freudengesänge einladen:
"Ja! Come, sing a song of joy for peace and understanding …"
Oder sing, welches Lied auch immer dich heute zum Mitsingen und Mittanzen ganz besonders animieren mag.
Genieße jeden Tag. Auch heute!
Dein
Gert Kowarowsky
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