Sei nicht bemüht zu lächeln, aber halte Ausschau nach dem, was dir guttut – #93

In diesem Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" geht es um unser Lächeln. Gert Kowarowsky zeigt, was passiert, wenn wir lächeln, obwohl uns nicht danach ist – und was wir dann tun können.

Sei nicht bemüht zu lächeln, aber halte Ausschau nach dem, was dir guttut – #93
© PAL Verlag, unter Verwendung einer Illustration von Christina von Puttkamer

Dein Lächeln entsteht ganz natürlich immer dann, wenn du dich über etwas freust, wenn dir etwas guttut. Dann strahlst du über das ganze Gesicht. Nicht nur deine Mundwinkel signalisieren ein Lächeln. Auch deine Augen lachen mit. Das Lächeln, das tief aus deinem Inneren kommt, wenn du dich über etwas freust oder wenn du Dankbarkeit empfindest dafür, dass es das Leben gut mit dir meint. Dieses Lächeln bezeichnen wir zu Recht als strahlend. Das Helle, das Strahlende in dir erhellt dann auch die Welt um dich herum.

Das echte Lächeln wird auch als "Duchenne-Lächeln" bezeichnet. Duchenne war einer der ersten Forschenden, der das authentische, von innen heraus kommende Lächeln schon 1862 wissenschaftlich beschrieben hat. Ja, jede und jeder von uns hat einen Muskel, den Jochbeinmuskel, mit dem sich unsere innere Freude außen, im Gesicht, zeigt.

Was passiert, wenn wir nicht von innen heraus Lächeln?

Immer dann, wenn du dich nur aus sozialen Überlegungen heraus bemühst zu lächeln, wird es dich jedoch Kraft kosten. Deine Augen werden dabei nicht mitlachen und der Effekt, den du damit bewirken kannst, wird nur sehr begrenzt und oberflächlich bleiben.

Julia, die als Flugbegleiterin arbeitet, spürt vor allem auf Langstreckenflügen, wie anstrengend es ist, die professionelle Vorgabe „Immer nur lächeln!“ einzuhalten. Auch in privaten Konfliktsituationen hatte sie sich angewöhnt, auf das Immer-nur-lächeln-Programm umzuschalten. Magenschmerzen, Rückenschmerzen und eine mittelgradige depressive Episode waren die Folgen. Sie war mehr als erstaunt und anfänglich auch unwillig, an ihrem Glaubenssatz zu arbeiten: „Wenn ich lächle, kann mir nichts geschehen und ich stimme jedes feindliche Gegenüber um“. Mit der Zeit jedoch konnte sie den Unterschied zwischen reflexhaftem, konfliktvermeidendem Lächeln und einem authentischen Gesichtsausdruck immer deutlicher spüren. Nach anfänglichem Zögern erlaubte sie sich zunächst in ihrem privaten Alltag, folgende Veränderung vorzunehmen: Sie entschloss sich, nur noch dann, wenn sie sich über etwas freute, dann aber aufrichtig, zu lächeln. In Konfliktsituationen fiel es ihr anfangs besonders schwer, auf ihr gewohntes Lächel-Programm zu verzichten.

Ihr Satz in unserer letzten gemeinsamen Therapiestunde war dennoch: „Auch wenn es mir immer wieder verlockend erscheint, mir mit einem künstlichen Lächeln kleine soziale Vorteile zu erkaufen, jetzt bin ich nicht mehr bereit, meine Authentizität dafür aufzugeben.“

Verzichte darauf zu lächeln, wenn du traurig, wütend oder ängstlich bist

Andere Patientinnen und Patienten hingegen haben das Problem, dass sie meinen, auf gar keinen Fall durch ein Lächeln zeigen zu dürfen, wenn sie jemanden mögen oder sich von ihr oder ihm angezogen fühlen. Dann beginnt die therapeutische Arbeit mit folgenden Überlegungen:

Worin besteht dein Glaubenssatz?

Glaubst du wirklich, dass es ein guter Weg ist, niemals zu lächeln und ein Pokerface zu zeigen, um nicht verletzt zu werden? Bist du überzeugt, durch ein Pokerface die Gefahr der Zurückweisung zu vermeiden und das zu bekommen, was du möchtest? 

Bei dem Spiel „Lächeln oder nicht Lächeln“ kannst du nur verlieren. Verzichte auf das Spiel mit dem oder gegen das Lächeln!

Sensibilisiere dich stattdessen dafür, immer besser zu spüren, was und wer dir gefällt, was und wer dir guttut. Und dann lass dein Licht der Lebensfreude strahlen. Wenn du tust, was dir guttut, ergibt sich natürlicherweise daraus, dass du hell wirst, dass du natürlich und anstrengungslos über das ganze Gesicht lächelst. Dieses Lächeln ist echt. Dieses Lächeln ist dann ein Segen für jeden, dem du begegnest.

Der Satz, den du in vielen Yogabüchern finden kannst, drückt das aus, was zu allen Zeiten Menschen empfunden haben, denen es nach ihren Übungen gut ging. Wer nach tiefen Erfahrungen der Stille in sich den Zustand innerer Zufriedenheit spüren kann – das Gefühl der entspannten Heiterkeit der Seele –, der kann gar nicht anders, als mit liebendem, lächelndem Blick auf andere zu schauen und aus tiefstem Herzen zu denken:

Alle Wesen mögen glücklich sein.

Verzichte also darauf zu lächeln, wenn du traurig bist. Verzichte darauf zu lächeln, wenn du wütend bist. Verzichte darauf zu lächeln, wenn du Angst hast. Nicht zuletzt wirst du selbst zu Recht eher verstimmt darauf reagieren, wenn dir bei einer berechtigten Beschwerde als Kundin oder Kunde ein professionelles, aber völlig unempathisches Lächeln entgegengebracht wird.

Was tun, wenn dir nicht nach Lächeln ist?

Traurigkeit, Wut, Angst oder Sorgen zuallererst zu akzeptieren, wenn sie da sind, wenn du sie in dir spürst, ist der gesündere Weg. Und wenn du dich dann aufmachst zu schauen, worüber du traurig oder wütend bist, wovor du Angst hast und welche Sorgen dich gerade umtreiben, kannst du im nächsten Schritt Ausschau halten nach neuen Möglichkeiten, mit der vorliegenden Situation umzugehen. Du kannst dann entscheiden, ob du die Situation ändern kannst und möchtest, ob du sie anders sehen oder sie einfach akzeptieren möchtest.

Wenn dann wieder ein Lächeln in dir entsteht, weil dir vielleicht das Lied von Bobby McFerrin “Don´t worry, be happy“ einfällt und du dich dazu entschließen kannst, die ungute Situation dadurch zu bewältigen, dass du zusammen mit oder trotz der vorliegenden schwierigen Wirklichkeit wieder unbeschwert und leichten Herzens sein möchtest, dann wirst du ein echtes, ein "Duchenne-Lächeln" auf deinem Gesicht haben. Und dieses Lächeln wird die Welt um dich herum tatsächlich wieder ein wenig heller machen.

So verzichte darauf, dich anzustrengen zu lächeln. Verzichte aber auch darauf, ein neutrales Pokerface zu trainieren. Halte lieber Ausschau nach dem, was dir guttut, worüber du dich freust, worauf du stolz sein kannst, was dir ein Gefühl der Dankbarkeit gibt. Herzerwärmendes Lächeln wird die natürliche Folge sein.
Dieses Lächeln wird dein eigenes Herz erwärmen – und das Herz von jedem, dem du es schenkst.

Mögen alle Wesen glücklich sein! Du und alle, die dir begegnen.

Dein Gert Kowarowsky

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