Wenn der Partner oder ein Angehöriger Selbstmord begangen hat

Wenn Du eine Freundin oder einen Freund oder jemand aus deinem Angehörigenkreis verloren hast, weil sie oder er sich das Leben genommen hat, dann findest du in diesem Beitrag Hilfe für die Bewältigung der schwierigen Situation.

Wenn der Partner oder ein Angehöriger Selbstmord begangen hat
© The good funeral guide, unsplash.com

Wenn sich ein uns nahestehender Mensch das Leben nimmt, dann bringt uns der Verlust an die Grenzen unserer Belastbarkeit. Wie können wir mit dieser Situation und dem Schmerz umgehen? Vielleicht hast du es geahnt oder befürchtet, vielleicht wurdest du aber auch völlig überrascht: Deine Partnerin, dein Freund oder jemand aus dem Angehörigenkreis hat sich das Leben genommen. Und du beibst zurück – in einem Schockzustand.

Du stehst vor den gewaltigen Aufgaben, den Verlust des geliebten Menschen anzunehmen und gleichzeitig auch damit zurechtzukommen, dass sie oder er dich "freiwillig" verlassen hat. Der plötzliche Tod dieses Menschen löst die unterschiedlichsten Reaktionen in deinem Körper und deiner Seele aus – Reaktionen, die du bisher noch nie erlebt hast. Bis du nach diesem traumatischen Erlebnis wieder Boden unter deinen Füßen gefunden hast, durchläufst du 4 Phasen der Trauerbewältigung.

4 Phasen der Trauerbewältigung

Phase 1: Schocks und Nicht-Wahrhaben-Wollen

In der ersten Zeit hast du den Eindruck, in einem schlechten Krimi mitzuspielen, aus dem du quasi nur aussteigen musst, um zu erkennen, dass alles nur Film war. Du kannst nicht glauben, dass du in deinem Leben mit einem so tragischen Erlebnis konfrontiert wirst. Vielleicht reagierst du mit heftigen Gefühlsausbrüchen, mit Panik, oder du fühlst dich wie betäubt, innerlich leer und stumpf. 

Besonders schwierig wird es, wenn du die Person, die sich das Leben genommen hat, selbst aufgefunden hast und sie vielleicht entstellt oder verstümmelt war. Dann können die Bilder immer wieder vor deinem inneren Auge ablaufen. Auch ungewöhnliche Gerüche und Geräusche können sich dir besonders einprägen und die traumatische Erfahrung immer wieder aufs Neue auslösen. Möglicherweise funktionierst du in den ersten Tagen danach nur noch, lässt die polizeilichen Ermittlungen über dich ergehen und erledigst alles Notwendige.

Aber irgendwann spürst du, dass du aus dem Gleichgewicht geraten bist, vielleicht teilt es dir auch dein Körper mit, indem du Beschwerden bekommst: Du kannst kaum schlafen, kaum etwas essen oder hast Heißhunger, du schwitzt oder frierst, hast Magen-, Kopf- oder Rückenschmerzen usw.

Phase 2: aufbrechende Gefühle

So langsam dringt es in dein Bewusstsein, dass der dir so nahestehende Mensch nie mehr zu dir zurückkommen wird. Die Folgen sind Verzweiflung, Einsamkeit und seelischer Schmerz. Auch Unverständnis und Wut, dass er dich einfach zurückgelassen hat, können auftreten. Vielleicht zermarterst du dir den Kopf, wie du seine Tat hättest verhindern können und was du falsch gemacht hast, damit er nur den Suizid als Weg sehen konnte.

Du gehst im Geist immer wieder die letzte Zeit mit ihm durch: Hast du deine Partnerin oder deinen Partner, deine Freundin oder deinen Freund zu wenig beobachtet, ihre oder seine Hoffnungslosigkeit nicht erkannt, sie oder ihn nicht genug geliebt, von ihr oder ihm zu viel gefordert, bist zu wenig auf sie oder ihn eingegangen? Du hast vielleicht die Vorstellung, wenn du nur einen Grund für ihre oder seine Tat finden könntest, dann wäre alles leichter zu verstehen und zu ertragen.

Vielleicht zweifelst du aber auch grundsätzlich an deinem Wert und denkst: Wenn ich ihr oder ihm nur wichtig genug gewesen wäre, dann hätte sie oder er weiter am Leben bleiben wollen. Auch ihre oder seine Liebe zu Ihnen stellst du vielleicht in Frage. Und weil Selbstmord bis heute von weiten Teilen der Gesellschaft und Kirche geächtet wird, nimmst du vielleicht auch die Bürde auf dich, die Selbsttötung vor anderen zu verheimlichen. Der Selbstmord hat vielleicht auch dein ganzes Lebensfundament zerstört und du zweifelst jetzt generell daran, dein Leben im Griff zu haben. Du siehst voller Angst und Zweifel in die Zukunft.

Phase 3: langsame Neuorientierung

So langsam kannst du dich wieder auf den normalen Alltag konzentrieren. Du vermisst den verstorbenen Menschen immer noch sehr, aber der Schmerz ist nicht mehr so stark und anhaltend. Ganz langsam und unmerklich nehmen wieder andere Themen mehr Raum in deinem Leben ein. Dir gelingt es, auch dich schönen Momente im Alltag wahrzunehmen und zu genießen.

Phase 4: ein neues Gleichgewicht finden

Du hast dein Leben nun ganz gut ohne die Verstorbene oder den Verstorbenen eingerichtet und empfindest Dankbarkeit für die Zeit, die ihr miteinander teilen durftet. Es wird niemals mehr so werden, wie es einmal war, doch hast du Vertrauen, dass das Leben ohne diese Person auch noch etwas für dich zu bieten hat. Wenn die Erinnerung in dir aufsteigt, empfindest du Bedauern und eine vorübergehende Traurigkeit. Am Jahrestag des Todes, am Geburtstag, bei Familienfeiern und an Festtagen nimmt die Erinnerung immer noch einen größeren Raum ein.

Wenn du im Augenblick noch gar nicht richtig fassen kannst, was passiert ist, oder sehr verzweifelt bist, dann kannst du dich natürlich auch noch nicht vorstellen, dass du jemals wieder ein "normales" Leben führen kannst. Aber sei gewiss, selbst wenn es nicht mehr das Leben sein wird, das du bisher geführt hast, kann dennoch ein Leben sein, in dem es für dich auch wieder Freude und eine gewisse Leichtigkeit geben kann.

10 Tipps, die dir helfen können, den Selbstmord deiner oder deines Angehörigen zu verarbeiten

In der ersten Zeit geht es nur darum, einen Tag nach dem anderen zu bewältigen und die Zeit zu überstehen. Du hast etwas so Unfassbares erlebt, dass deine Seele und dein Körper aus dem Gleichgewicht geraten sind.

Tipp 1:Sorge gut für deinen Körper.

Wenn du deinen Körper vernachlässigst, hast du noch weniger Kraft, alles durchzustehen. Trinke ausreichend und esse zumindest regelmäßig Kleinigkeiten. Wenn du es nicht schaffst, für dich zu kochen, iss viel Obst, Nüsse und Milchprodukte. Säfte, Kräutertee und Mineralwasser tun deinem Körper jetzt gut. Bleib nur im Bett liegen, wenn du müde bist und einschlafen kannst. Beschäftige dich ansonsten lieber außerhalb des Bettes, selbst wenn es etwas Monotones ist.

Tipp 2:Bau ausreichend Bewegung in deinen Alltag ein.

Dein Körper ist infolge der traumatischen Erfahrung sehr angespannt. Bewegung kann ihm dabei helfen, die Spannung abzubauen und deine Stimmung zu verbessern.

Tipp 3:Akzeptiere alle Gefühle, die auftauchen.

Du wirst im Augenblick wahrscheinlich Gefühle empfinden, die du noch nie oder niemals in dieser Stärke empfunden hast. Verzweiflung, Wut, Angst, Hilflosigkeit, Einsamkeit, Schuldgefühle – alle diese Gefühle haben ihre Berechtigung. Lass die Gefühle zu. Die Gefühle sind in Ordnung und werden nicht endlos andauern. Wenn du willst, lege dir ein Tagebuch an, dem du deine Gedanken und Gefühle anvertraust.

Tipp 4:Tolerierean dir selbst "verrücktes" Verhalten.

Es könnte sein, dass du im Augenblick Dinge tust, die du im "normalen Leben" als verrückt oder nicht normal abtun würdest. Manche Menschen lassen Tag und Nacht den Fernseher laufen oder schlafen im Nachtzeug des Verstorbenen. Das ist für den Augenblick in Ordnung, denn du befindest dich in einer außerordentlichen Situation und dieses Verhalten vermittelt dir ein wenig Sicherheit oder Geborgenheit.

Tipp 5:Konzentriere dich auf das Wichtigste.

Im Augenblick hast du wenig Kraft. Deshalb solltest du nur die notwendigsten Aufgaben erledigen. Überlege, wem du Aufgaben abgeben kannst und wer dich unterstützen könnte.

Tipp 6:Treffe keine großen Entscheidungen.

Im Augenblick ist es für dich schwierig, Entscheidungen zu treffen, denn du tust dir schwer, gelassen zuerst alle Möglichkeiten anzuschauen. Entscheidungen wie das Haus zu verkaufen oder die Anstellung zu kündigen könnten dir später leidtun. Schiebe deshalb, sofern es möglich ist, diese Entscheidungen auf später auf. Wenn das nicht geht, berate dich am besten mit Menschen, die im Augenblick den Überblick behalten können und emotional nicht so betroffen sind.

Tipp 7:Sprich mit Freunden über den Suizid.

Ganz gleich, was du getan hast, ob du etwas zur Entscheidung für den Suizid beigetragen haben könntest – letztlich hat dein Partner, deine Freundin oder dein Angehöriger den letzten Schritt alleine getan. Du brauchst den Selbstmord nicht als Geheimnis zu bewahren und vor anderen zu verstecken. Hole dir Entlastung, indem du dich einer Vertrauensperson anvertraust.

Tipp 8:Bitte Freunde um Unterstützung.

Wenn sich ein Mensch getötet hat, dann betrifft das auch seinen Freundeskreis. Dennoch fühlen sich deine Freunde möglicherweise auch verunsichert, wie sie sich dir gegenüber verhalten sollen. Sollest du mit ihnen über den Selbstmord sprechen? Was können sie zu deiner Unterstützung tun? Bei welchen Behördengängen können sie dich begleiten? Sprich am besten mit deinen Freunden ganz offen über deine Wünsche, aber auch über deine Vorbehalte und Ängste.

Tipp 9:Wende dich an eine Selbsthilfegruppe für Angehörige nach einem Suizid.

Vielleicht fühlst du dich von deinen Freunden nicht wirklich verstanden, vielleicht hast du dich von deinen Freunden und Angehörigen ganz zurückgezogen, weil du sie nicht weiter belasten willst. Es könnte aber auch sein, dass deine Freunde den Kontakt zu dir reduziert haben, weil sie Angst vor deiner Trauer haben und nicht mehr mit deinen Schuldgefühlen und quälenden Fragen konfrontiert werden wollen.

In einer solchen Situation kann der Austausch mit Menschen in ähnlicher Situation sehr hilfreich sein. Nimm Kontakt mit einer Trauerbewältigungsgruppe auf. Dort triffst du mit Menschen zusammen, die auch jemanden aus dem Angehörigenkreis verloren haben. Du kannst über deine Trauer sprechen und auch erleben, wie andere mit ihrer Trauer umgehen. Das hilft dir vor allem dann, wenn du dich fühlst. Die Adresse einer Selbsthilfegruppe in deiner Nähe kannst du bei Nakos erfragen.

Tipp 10:Hol dir eine psychotherapeutische Unterstützung.

Der Suizid Ihres Angehörigen bringt dich in eine besonders belastende Situation. Du musst zum einen lernen, mit dem Verlust umzugehen. Zum anderen kommen ganz spezielle Probleme auf dich zu, die deine Trauer erschweren und auch Wut und Hilflosigkeitsgefühle in dir hervorrufen. Du musst etwa polizeiliche Ermittlungen über dich ergehen lassen, obwohl du noch nie etwas mit der Polizei zu tun hattest. Vielleicht musst du sogar den Verdacht von Polizei oder Angehörigen aushalten, dass du etwas mit dem Tod deines Angehörigen zu tun haben könntest.

Vielleicht musst du den Leichnam identifizieren, den entstellten Anblick eines lieben Menschen ertragen, was von dir viel Mut und Kraft fordert. Du traust dich vielleicht nicht mehr auf die Straße aus Angst vor Nachfragen, Vorurteilen und Vorwürfen deiner Nachbarn. Selbstvorwürfe, dich falsch verhalten bzw. die Not deiner oder deines Angehörigen übersehen zu haben, begleiten dich Tag und Nacht.

Deshalb solltest du dir überlegen, ob du Kontakt zu einer Psycvhotherapeutin oder einem Psychotherapeuten aufnehmen willst. In einer Therapie hast du die Möglichkeit, deine Gedanken und Gefühle auszudrücken, ohne dass sie beurteilt oder abgewertet werden, und deine traumatische Erfahrung zu verarbeiten. Adressen von Psychotherapeut:innen in deiner Nähe findest du auf Websites wie therapie.de.

Wenn du mehrere der folgenden Beschwerden innerhalb von sechs Monaten nach der belastenden Erfahrung spürst und wenn diese Beschwerden anhalten, solltest du auf jeden Fall den Kontakt zu einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeut:in aufnehmen:

  • Die Erinnerung an die belastende Situation taucht immer wieder auf.
  • Du siehst das Bild vor dir, wie du deine Partnerin oder deinen Partner tot aufgefunden hast oder wie die Polizei dich über ihren oder seinen Tod informiert hat. Oder du träumst immer wieder davon.
  • Du vermeidest Gedanken, Gefühle und Gespräche über die traumatische Erfahrung.
  • Du meidest Orte, Menschen und Aktivitäten, die dich daran erinnern.
  • Du kannst dich nicht mehr an wichtige Aspekte der traumatischen Situation erinnern.
  • Du bist interesse- und teilnahmslos, fühlen sich erstarrt und taub.
  • Du fühlst dich von anderen entfremdet.
  • Du bist leicht reizbar oder reagieren mit Wutausbrüchen.
  • Du leidest unter Konzentrations- und Gedächtnisstörungen.
  • Du bist sehr schreckhaft, leicht erregbar und kannst dich nicht entspannen.
  • Du leidest unter Schlafstörungen, haben Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen.
  • Du leidest sehr unter deinen Beschwerden und bist im Alltag stark beeinträchtigt.

Der Verlust eines Menschen und noch dazu auf so dramatische Weise bringt uns an die Grenzen unserer Belastbarkeit. Wir können die traumatische Erfahrung nicht ungeschehen machen, doch können wir lernen, sie mit weniger heftigen Gefühlen zu verbinden, als Teil unserer Lebenserfahrungen zu akzeptieren und unserem Leben eine neue Perspektive zu geben.

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Karl schreibt am 03.01.2023

Guter Artikel. Ein paar orthographische Fehler haben sich eingeschlichen:

„Wenn Sie es nicht schaffen, sich zu kochen, […]“
-> für sich zu kochen

„[…] unverstanden fühlen.Es könnte aber […]“
Leerzeichen zwischen den Sätzen fehlt.

„[…] lassen, wo Sie noch nie etwas mit der Polizei zu tun hatten.“

obwohl anstelle von wo ist besser ausgedrückt.


Alexa schreibt am 27.02.2022

Sehr informativ! Danke dafür! Leider fehlt ein Link für Selbsthilfegruppen, da fast alle Therapeuten aktuell Aufnahmestopp haben. Sehr schade, somit muss man doch irgendwie alleine damit klar kommen!


Mark schreibt am 02.12.2021

...schön & gut..., wenn dann auch noch Links zu Hilfeangeboten dabei wären...


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