Wie können wir Selbstvorwürfe und Schuldgefühle überwinden?

Was sind Schuldgefühle? Sind Schuldgefühle sinnvoll? In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Sie mit quälenden Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen umgehen können.

Wie können wir Selbstvorwürfe und Schuldgefühle überwinden?
© Riccardo Mion, unsplash.com

Plagen Sie Schuldgefühle? Machen Sie sich häufig Selbstvorwürfe und haben ein schlechtes Gewissen? Schuldgefühle sind ein Gift, das uns innerlich auffrisst. Im Folgenen erhalten Sie vier Ratschläge, wie Sie Schuldgefühle überwinden bzw. vermeiden können.

Kommen Ihnen die folgenden Gedanken vertraut vor?

  • Wie konnte ich das nur vergessen?
  • Wie konnte ich mich nur so unmöglich benehmen?
  • Das hätte mir nicht passieren dürfen.
  • Warum habe ich nicht…
  • Ich hätte das nicht tun dürfen.
  • Ich müsste mich mehr um meine Eltern kümmern.
  • Ich hätte daran denken müssen, dass…

Dies sind typische Selbstvorwürfe, wenn wir Schuldgefühle haben. Warum haben wir Gewissensbisse? Schauen wir uns die Ursachen von Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen an.

Warum haben wir Schuldgefühle?

Wenn es Ihnen wie den meisten Menschen geht, dann glauben Sie, dass Schuldgefühle zwangsläufig auftreten, wenn Sie sich falsch verhalten, also etwas tun, was Sie für schädlich, falsch, unmoralisch oder unangemessen halten. Dagegen spricht, dass es Menschen gibt, die sich bei genau dem gleichen Verhalten in keinster Weise schuldig fühlen.

Ein Extrembeispiel hierfür sind Verbrecher, die kein Unrechtsbewusstsein besitzen und keine Schuldgefühle haben. Schuldgefühle sind „hausgemacht“. Das bedeutet, wir selbst machen uns unsere Schuldgefühle durch die Art und Weise, wie wir unser (Fehl-)Verhalten und uns beurteilen.

Wir fühlen uns schuldig, wenn wir uns vorwerfen,

  • etwas zu tun oder auch nicht zu tun, von dem wir denken, dass wir es tun sollten oder nicht tun sollten, etwa: Ich sollte meine Eltern häufiger besuchen.
  • etwas getan oder gesagt zu haben, aber glauben, es nicht hätten tun oder sagen dürfen, etwa: Ich hätte nicht so ausfallend reagieren sollen. Oder: Ich hätte die Wahrheit sagen müssen.
  • etwas versäumt zu haben, aber glauben, es nicht hätten versäumen dürfen, etwa: Ich hätte mich mehr um die Gesundheit meines Mannes kümmern müssen. Oder: Ich hätte meine Mutter häufiger besuchen müssen. Jetzt ist sie tot.

Damit wir Schuldgefühle bekommen, müssen wir unseren Selbstvorwürfen etwas Wichtiges hinzufügen – nämlich die Schlussfolgerung: Weil wir uns nicht so verhalten haben, wie wir es – unserer Meinung nach! – hätten tun sollen, sind wir verurteilenswerte und schlechte Menschen.

Die Schlussfolgerung, dass wir schlecht sind, bewirkt keine positive Veränderung, sondern nur, dass wir unter Schuldgefühlen leiden und ein schlechtes Gewissen haben.

Welchen Schaden richten Schuldgefühle an?

Schuldgefühle

  • rauben uns die Energie, im Hier und Heute zu leben.
  • machen uns bereit für die Sündenbockrolle.
  • machen uns manipulierbar.
  • tragen zu psychosomatischen Beschwerden bei.
  • machen uns empfänglich für Kritik.
  • führen dazu, dass wir andere hart kritisieren.
  • führen dazu, dass wir in Zukunft jegliches Risiko vermeiden wollen.

Eine weitere Folge unserer Selbstvorwürfe sind Depressionen. Wir fühlen uns als Versager. Machen wir uns viele Selbstvorwürfe, können wir in völlige Mutlosigkeit verfallen. Ein Betroffener sagte: „Mich lähmt die Traurigkeit über verpasste Chancen. Hätte ich nur früher den Mut von heute gehabt. Jetzt bin ich in der Sackgasse des Lebens angekommen.“

Warum Schuldgefühle ungerecht sind.

Okay, wir haben einen Fehler gemacht. Es wäre besser gewesen, die fällige Rechnung zu begleichen, mit dem Partner, den Kindern, den Eltern mehr Zeit zu verbringen, etc. Doch was geschehen ist, ist geschehen. Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Wir hatten gute Gründe, warum wir uns in der Vergangenheit so und nicht anders verhalten haben. Wir können nicht in die Zukunft sehen und wissen, ob eine Entscheidung, die wir heute treffen und für richtig halten, sich morgen als falsch erweist. Abgesehen davon, dass wir nicht perfekt sind und deshalb immer wieder Fehler machen, können wir nicht in die Zukunft schauen. Und unser Wissen und Können ist begrenzt. Deshalb ist es nicht fair, wenn wir uns Schuldgefühle machen. Machen Sie den Schuldgefühle Test und schauen, wie sehr Schuldgefühle Ihr Leben beeinträchtigen.

Wie können Sie sich von Schuldgefühlen befreien?

TIPP 1: Sprechen Sie mit einem vertrauten Menschen über Ihre Schuldgefühle.

Manchmal sind wir so in unseren Selbstvorwürfen gefangen, dass wir uns gedanklich im Kreis drehen und keinen Ausweg sehen. Wir glauben, die Situation nur so einschätzen zu können, wie wir es tun. Wir glauben, uns genauso fühlen und verhalten zu müssen, wie wir es tun.

Eine Freundin, ein Freund oder ein Therapeut können helfen, neue Sichtweisen zu entwickeln. Haben Sie Angst, sich persönlich jemandem anzuvertrauen, bleibt Ihnen die Möglichkeit, sich an die Telefonseelsorge zu wenden.

Gebührenfreie Notfallnummern der Telefonseelsorge:

0800 111 0 111
0800 111 0 222

TIPP 2: Vorwürfe loslassen

Eine Strategie, die für mich persönlich besonders hilfreich ist, ist die folgende. Ertappe ich mich bei einem Fehler, sage ich mir innerlich:

Ich habe so gehandelt, weil ich es in diesem Moment für richtig hielt. Ich bedaure, dass mir das passiert ist, aber ich kann nicht immer alles richtig machen. Ich habe mein Bestes gegeben, was mir in diesem Augenblick möglich war. Ich bin bereit, loszulassen.

Ein manches Mal brauche ich einige Stunden, manchmal auch ein bis zwei Tage, bis ich gefühlsmäßig die Selbstvorwürfe loslassen kann, mir mein Missgeschick verzeihen kann und wieder zu meinem inneren Frieden finde.

TIPP 3: Verzeihen Sie sich den Fehler!

Stellen Sie sich vor einen Spiegel und schauen sich in die Augen. Sprechen Sie sich mit Ihrem Vornamen an und sagen Sie laut zu sich: „(Ihr Vorname), ich bin bereit, dir zu verzeihen. Du hast getan, was dir in diesem Moment möglich war.“

Vielleicht mögen Sie diese Übung auf den ersten Blick lächerlich finden oder einen innerlichen Widerstand empfinden. Ich möchte Sie dennoch bitten, diese Übung mehrmals durchzuführen und dann zu entscheiden, ob Sie damit aufhören möchten.

Es ist eine der wirkungsvollsten Übungen, die ich kenne, um Schuldgefühle loszulassen und zu innerem Frieden zu finden. Verzeihen heißt nicht, dass Sie Ihr Verhalten gutheißen, sondern lediglich, dass Sie sich zugestehen, Fehler machen zu dürfen.

TIPP 4: Behandeln Sie sich selbst so, wie Sie einen Freund behandeln würden.

Was würden Sie einem Freund raten, der Ihnen sagen würde, er mache sich große Vorwürfe wegen genau derselben Sache, wegen der Sie sich Vorwürfe machen? Würden Sie ihn genauso verurteilen wie sich selbst? Häufig gehen wir mit anderen Menschen wesentlich nachsichtiger und milder um, wie mit uns selbst.

Mit welchen verständnisvollen Worten würden Sie ihn trösten? Beherzigen Sie den Ratschlag, den Sie dem Freund geben würden, selbst. Behandeln Sie sich auch mit Milde und Verständnis. Wenn Sie zu anderen nett und freundlich sind, dann sollten Sie es auch zu sich sein. Das ist nur gerecht, oder? Was Sie anderen verzeihen können, können Sie auch sich verzeihen.

Wer sollte dafür verurteilt werden, wenn ein Blatt vom Baum fällt?

Leserfrage zu Selbstvorwürfen

„Ich habe die Arbeit meines alkoholabhängigen Geschäftspartners jahrelang mit übernommen und bin für seine Schulden eingestanden. Dafür habe ich meine Altersvorsorge geopfert. Nun bin ich selbst körperlich angeschlagen und kann nicht mehr arbeiten. Ich werfe mir vor, im Leben alles falsch gemacht zu haben.“

Dr. Doris Wolf antwortet:

„Wir alle können in unserem Leben nur nach dem entscheiden, was wir im Augenblick als richtig ansehen. Vorhersehen, was uns in der Zukunft erwartet, können wir nicht. Es gab für Sie sicher viele gute Gründe, warum Sie Ihrem Geschäftspartner so lange die Stange gehalten haben. Vielleicht wollten Sie ihn aus Mitleid nicht fallenlassen oder haben ihn im nüchternen Zustand als sehr guten Geschäftspartner geschätzt und wollten ihn deshalb nicht verlieren. Man könnte es durchaus auch als positiv ansehen, dass Sie ihm immer wieder eine Chance gegeben haben. Selbstvorwürfe, alles falsch gemacht zu haben, verschlimmern Ihre Lage jetzt nur noch.

Sie können Ihr Verhalten nicht mehr ungeschehen machen, aber Ihre Haltung dazu verändern. Eine angemessene Betrachtung könnte sein: Ich habe die Chance, dass mein Geschäftspartner seine Alkoholabhängigkeit überwinden kann, falsch eingeschätzt. Mit dem Wissen von jetzt würde ich anders handeln, als ich es getan habe. Ich würde nicht für ihn bürgen und ihm zur Auflage machen, sich in eine Suchtklinik zu begeben.

Unterbrechen Sie Ihre Gedanken, wann immer Sie sich bei Selbstvorwürfen ertappen. Ersetzen Sie die Vorwürfe durch den Gedanken: Ich bin bereit zu akzeptieren, dass ich in dieser Weise gehandelt habe. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit dann darauf, wie Sie Ihre Gesundheit und Ihre finanzielle Lage verbessern können. Möglicherweise können Sie noch beratend tätig sein oder bei einem Kollegen stundenweise arbeiten.“

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René Scherff schreibt am 27.03.2024

Es ist immer "leicht" die Dinge und Geschehnisse aus der Perspektive des "Nicht"-Betroffenen zu sehen. Ich habe in meinen guten Zeiten auch immer tolle Ratschläge geben können. Aber nun bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich selber nicht weiter weiß. Vor zwei Jahren habe ich eine sehr gute Stellung als Geschäftsführer aufgegeben und meine Geschäftsanteile auszahlen lassen. Ich bin nun 56 Jahre alt und seit 33 Jahren mit verschiedenen Betrieben erfolgreich selbständig. Durch zwei Scheidungen war meine Altersvorsorge schon mehr als ramponiert und mit meinem neuen Unternehmen, das ich vor zwei Jahren gegründet habe, komme ich auf keinen grünen Zweig und werde es wohl aufgeben müssen. Natürlich soll man nicht vergleichen, aber wenn ich mir meine Altersgenossen so anschaue... Ich habe zwar immer nach meinem Herzen gehandelt, aber habe keine Immobilie mehr ("all in" / für den vorletzten Betrieb verkauft) so gut wie keine Rücklagen, so gut wie keine Rente, privat Krankenversichert, finanziell also kurz vor dem Abgrund. Habe keine Idee was ich beruflich in Zukunft machen soll - mein jetziger Beruf im Tourismus/Hotellerie schaff ich mental nicht mehr. Um nicht irgendwann auf der Straße landen zu müssen, werde ich fast bis zum Lebensende arbeiten müssen.... Und das alles nur, weil ich vor zwei Jahren nicht "durchgehalten" habe. Das ist ja nicht ein Fehler der mir mit 23 als Studierender passiert ist (Examen nicht bestanden o.ä.) Es ist ein finanziell existentieller Fehler im deutlich zweiten Lebensabschnitt, wo einem nicht mehr tausend Türen aufstehen und man einfach so hindurchgehen und seinen "Fehler" ausbügeln kann. Wäre ich in dem Betrieb geblieben, wäre nicht alles toll, aber so deprimierend wie sich meine Lage nun darstellt, wäre es auf keinen Fall. Und daher gibt es Fehler die bei mir deutlich nachwirken und bei denen ich das Gefühle habe sie nicht mehr "heilen" zu können.
Man sagt zwar solange man gesund ist, ist alles halb so schlimm und das stimmt auch. Aber meine seelische Verfassung ist trotzdem eine Ruine und die in diesem Artikel angesprochenen Tipps helfen mir da leider nicht....
Vielen Dank, dass ich meine Gedanken hier kundtun durfte!


Christa Pauler schreibt am 20.01.2024

Der Beitrag war hilfreich, jedoch meine "Schuld" gab es nicht.
Mein Mann ist nach einem langen Leidensweg gestorben. Wir konnten unsere Schwierigkeiten nicht mehr klären; er konnte kaum noch sprechen. Der letzte Satz vor seinem Tod.
wir müssen jeden; wir haben groß Probleme.
dies hat er mit in den Tod genommen. Er hatte ja Recht. Wir hatte in paar Jahr Beziehungsprobleme. Ich nach hinein sehe ich alles als meine Schuld.
Es gab Zeiten, daß ich nichts mehr gesprochen habe, ich war auf Rückzug.
Jedoch habe ich meinen Mann immer geliebt, trotz allem. Ich zeigte es ihm nicht mehr. Ich habe ihn auch sehr zur es zurückweisend behandelt.
Ich habe viele Streits verursacht.
Es tut mir so leid und kann nichts mehr ändern.
Nach seinem Tod bin ich auf Mails gestossen: er hat sich bei einer anderen Person/Frau über mich beklagt. Er sagte u.a., er könne mich nicht verlassen, da ich ja niemanden habe. Das ist richtig. Nun ist er auf einem anderen Weg gegangen. Ich blieb zurück allein mit grosser Schuld.
Ich bin kein schlechter Mensch.
Ich war 4 Monate jeden Nachmittag auf der Intensivstation und habe ihn begleitet bis zum letzten Atemzug; ehe die Maschinen abgestellt wurden.
Dazwischen hatte ich 3 Wochen Corona. Ich kann die Bilder nicht mehr vergessen. Ich habe gegeben, was mir möglich war. Er wollte noch ein bisschen leben mit mir. Er sagte mal zum Pfleger: Er braucht seine Frau zum gesund werden" Habe ich nicht geschafft.
Ich weiss nicht, wie ich mit diesen Schuldgefühlen fertig werden soll.
Immer wenn ich ihn besuche, beschuldige ich mich und bitte um Verzeihung.
Was kann ich tun?
Ich schreibe Ihnen jetzt soviel, weil ich so verzweifelt und alleine bin.
Mir fehlt die Kraft, mich an jemanden vor Ort zu wenden.
Mit Gruss von Christa Pauler


Yvonne Todemann schreibt am 18.12.2021

Ja...in meine Vergangenheit würde ich mit vielen Jungs oder Männer nur verarscht und ausgenutzt, auch in der letzten Beziehung die ich mal mit einem Mann hatte der ist mir fremd gegangen und hat sich von mir getrennt und war am 31.07.2021 Single und seit dem stehe ich auf Frauen....?? Mit Frauen klappt es auch nicht so richtig weil die entweder zu weit weg wohnen, und ich weiß nicht was ich machen soll jetzt weiter suchen nach meine traumfrau oder auf geben !!💔💔💔💔💔😢😢😢😢😢😢😢😢😢😢😢😢😢😢😢😢😢


Niki schreibt am 07.09.2019

Ich habe schon mein gesamtes Leben mit Selbstzweifel zu tun. Selbst, wenn es nur Kleinigkeiten sind beschäftigt mich das tagelang. Jetzt habe ich einen massiven Fehler in meiner Bachelorarbeit gemacht und bin deshalb durchgefallen. Das erste Gefühl war ein Schock und seit dem nur noch Selbstzweifel und eigene Vorwürfe, wie dumm ich war. Ich kann meine Fehler einfach nicht akzeptieren und analysiere sie immer wieder, wie es zu dieser Situation kommen kann. Es ist so schlimm, dass für mich jeder Fehler ein "Weltuntergang" ist und ich körperliche Schmerzen habe, sobald das geschieht.


Marco schreibt am 18.07.2019

Ich bekomme Schuldgefühle, wenn ich mich mit anderen Frauen als meiner Affäre/gute Freundin verabrede. Nur schon der Gedanke mich mit jemandem weiblichen zu Verabreden löst bei mir Schuldgefühle aus. Ich glaube es ist, weil ich aus der Vergangenheit, das Gefühl habe ich werde mit dieser Frau dann evt. Schlafen was wiederum schlecht/unfair für meine Affäre/gute Freundin ist.Mich nicht mehr mit anderen Fraue zu treffen ist für mich dem Problem aus dem weggehen. Wie bekomme ich jedoch die Schuldgefühle in den Griff?


Inhalt des Beitrags   
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 Warum haben wir Schuldgefühle?
 Welchen Schaden richten Schuldgefühle an?
 Warum Schuldgefühle ungerecht sind.
 Wie können Sie sich von Schuldgefühlen befreien?
 Leserfrage zu Selbstvorwürfen
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