In diesem Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" werden dir zwei Übungen vorgestellt, die dir – egal, ob du gesund oder krank bist – helfen, das Wichtige im Leben zu erkennen.
Immer wieder kommen Menschen zu mir, die mit einer ernsten körperlichen Erkrankung zusätzlich auch seelisch krank werden. Nach der ärztlichen Diagnose überkommen sie Ärger, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, unangemessene oder sinnlose Überaktivität, oder auch unkontrollierbare und außergewöhnliche Trauer. Nach dieser akuten Belastungsreaktion breitet sich dann nicht selten eine zunehmend depressive Stimmung aus.
Die Freude an ansonsten angenehmen Aktivitäten geht verloren, der Antrieb nimmt ab und weit über das körperlich bedingte Ausmaß hinaus nimmt die Ermüdbarkeit zu. Der Wunsch, angesichts der vorhandenen körperlichen Krankheit und der daraus resultierenden Einschränkungen, nicht mehr leben zu wollen, ist dann die krisenhafte Zuspitzung eines ungesunden Umgangs mit der Erkrankung.
Vor etwa 25 Jahren nahm ich an einer Fortbildungsveranstaltung eines Kollegen teil, der damals mit Menschen arbeitete, die schwer an Krebs erkrankt waren. Er berichtete von zwei Verlaufskurven, die er immer wieder beobachten konnte, wenn sich die körperliche Erkrankung verschlimmerte:
Mein Kollege stellte uns Teilnehmenden die konfrontative Aufgabe, sich für eine Stunde mit einem Notizblock zurückzuziehen und uns vorzustellen, dass wir mit einer soeben diagnostizierten unheilbaren Erkrankung nur noch neun Monate zu leben hätten. "Was", so fragte er, "würden Sie, anstatt die restliche Lebenszeit in tiefer Depression zu verbringen, noch unbedingt sehen, erleben, tun wollen, bevor Ihr Leben zu Ende geht? Nehmen Sie sich eine Stunde Zeit und notieren Sie alles, was Ihnen persönlich wirklich, wirklich wichtig wäre. Suchen Sie in der Tiefe Ihres Bewusstseins nach all den ‚Ja, man könnte mal …‘, nach all den ‚Ja, es wäre schön …‘, nach all den ‚Als Kind wollte ich unbedingt einmal …‘ und nach den ‚Bevor dieses Leben zu Ende ist, möchte ich auf jeden Fall wenigstens einmal …‘".
Ich bin so froh, damals an diesem Seminar teilgenommen zu haben! Vieles von dem, was ich mir seinerzeit aufgeschrieben hatte, vieles von dem "was ich unbedingt gerne gelebt haben wollte, bevor dieses Leben zu Ende gehen würde", habe ich inzwischen gelebt.
Diese Übung, die mir damals viele Türen geöffnet hat, um zu mehr Klarheit darüber zu gelangen, was mich wirklich, wirklich erfreut, ist seither ein Teil meines Therapieangebots geworden. Ergänzt habe ich diese Ein-Stunden-Übung ("Notieren Sie alles, was Ihnen persönlich noch zu erleben wirklich, wirklich wichtig ist") mit einer zweiten Übung. Alle Patientinnen und Patienten, die sich im negativen Dauerfokus auf ihre körperliche Erkrankung befinden, lade ich zusätzlich ein, eine Lebensfreude-Collage zu erstellen.
Und zwar deshalb: Wenn du eine schriftliche Stoffsammlung erstellst von Lebensbereichen, die für dich mit Lebensfreude verbunden sind, findet dies überwiegend in deiner linken Gehirnhälfte statt. Diese "links-hemisphärische Stoffsammlung" kannst du auf kreative Art und Weise jedoch sehr gewinnbringend ergänzen durch eine "rechts-hemisphärische Stoffsammlung".
Und so geht's:
Nimm dazu einfach fünf, sechs Zeitschriften und eine Schere. Dann leg dir eine Tapeten-Restrolle bereit oder einen großen Bogen Packpapier. Bereichere dein Lebensfreude-Atelier mit schöner, dir angenehmer, dich belebender und inspirierender Musik und los geht‘s!
Blättere nun die Zeitschriften genüsslich durch. Du entdeckst Worte, Überschriften, Bilder oder Symbole, die bei dir eine Resonanz auslösen, bei denen du eine positive emotionale Reaktion bemerkst. Wenn du spürst "Hmm, dieses Bild hat was, diese Überschrift spricht mich an, da habe ich ein gutes Gefühl, ja, dieses Symbol fasziniert mich", dann schneide einfach das entsprechende Bild, die Überschrift, den Bildausschnitt aus und lege es zur Seite.
Nachdem du aus allen Zeitschriften diese Lebensfreude aktivierenden Ausschnitte, Überschriften, Worte, Sätze, Symbole und Bilder herausgeschnitten hast, klebe sie auf die Rückseite der Tapetenrolle oder auf das Packpapier.
Die so entstandene Collage kannst du dann an die Wand hängen, am besten an einen Platz, wo du sie möglichst oft im Blick hast. So kannst du deine Lebensfreude-Inspiration immer wieder, über Wochen oder Monate, auf dich wirken lassen. Im Rahmen einer Therapie biete ich auch an, die Collage zur nächsten Stunde mitzubringen, damit wir sie gemeinsam besprechen können.
Auf jeden Fall entsteht so, zusammen mit deiner schriftlichen Stoffsammlung, ein umfassendes Bild all der Lebensbereiche, die für dich mit Lebensfreude verbunden sind. Eine Stoffsammlung, bei der deine linke und deine rechte Gehirnhälfte, dein Herz und dein Verstand, deine verbalen und deine nonverbalen Anteile zu Wort gekommen sind.
Den meisten meiner Patientinnen und Patienten macht diese Art der Stoffsammlung viel Spaß und sie haben viel Freude beim Erstellen ihrer Collage.
Wie leicht oder schwer auch immer die körperliche Krankheit sein mag, die du im Moment gerade hast, eine "Was-ich-schon-immer-mal-tun-wollte-Liste" und eine Lebensfreude-Collage zu erstellen, kann dir dabei helfen, viele deiner Ressourcen zu aktivieren. Oft lässt sich dadurch sogar die körperliche Verfassung positiv beeinflussen. Auf jeden Fall aber hilft dir diese Entdeckungsreise dabei, all die kleinen und großen Glücksinseln in deinem aktuellen Leben wieder zu entdecken.
Viel Freude dabei wünscht dir
Dein
Gert Kowarowsky
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Mir war nicht bewusst, dass es das Krankheitsbild Hypochontrie gibt. Ich habe letztes Jahr versucht, einer Freundin , die an Brustkrebs erkrankte, beizustehen. Sie war über den Berg-fiel dann in das große Depri-Loch. Jeder Rat wurde als dumm abgetan, bis ich aus " Notwehr" gesagt habe, sie solle mit dem Gejammer aufhören. Sie habe es geschafft und könne nach vorn blicken. Ab dem Moment kam ihrerseits nur: wie krank bist du eigentlich? Ihr Ratgeber hätte geholfen. Ich war durch die Situation so bedrückt, dass ich in eine leichte Depri rutschte. Hypochontrie. Ein neuer Blick auf das Erlebte.