In diesem Beitrag aus der Reihe "Erfahrungen aus der Praxis" zeigt Gert Kowarowsky, wie es gelingt, störende Gewohnheiten loszulassen und neue, gesunde im Leben zu etablieren.
Schon 1847 schrieb der deutsche Schriftsteller Gustav Freytag: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.“ Und das ist gut so, denn ohne Gewohnheiten, ohne monotone Wiederholungen gäbe es keine Stabilität. Gewohnheiten helfen, Energie zu sparen. Sie halten Speicherplatz im Gehirn frei, um Neues lernen und einmal Erlerntes mühelos und wie im Schlaf anwenden zu können. Gute, gesunde Gewohnheiten helfen dir dabei, stabil zu sein.
Stabilität ist die Grundlage für Fortschritt. Dies gilt jedoch nur, wenn es mit Flexibilität gepaart ist. Ein Bein steht fest und stabil auf dem Boden, während sich das andere schwebend, flexibel durch den Raum bewegt. So kommst du Schritt für Schritt voran. Stabilität, Flexibilität, Stabilität, Flexibilität …
Ohne Flexibilität führt Stabilität allerdings zu Starrheit, Sturheit, Stumpfheit, Stillstand. Ohne Stabilität führt Flexibilität zu Haltlosigkeit, Orientierungslosigkeit, Ineffektivität, Beliebigkeit – im schlimmsten Fall zu geistigen Störungen.
Routine sowie situationsgerechte Flexibilität, beide ZUSAMMEN bilden die perfekte Mischung für Erfolg, Leichtigkeit und Lebensfreude.
Einen Plan haben, sich daran halten – ihn aber auch ändern zu können, wenn er nicht mehr zielführend ist oder sich die Situation verändert hat – ist wesentlich günstiger, als völlig planlos umherzuirren. Was aber, wenn deine Gewohnheiten destruktiv sind? Wenn sich das Gewohnheitstierchen in dir zuverlässig an Gewohnheiten hält, die für dich schädlich sind? Was, wenn du neue gesunde Gewohnheiten entwickeln möchtest, die sich nicht gleich wieder verabschieden, sondern die du dauerhaft verankern willst?
In meiner Zeit in einer Rehaklinik war genau das meine Aufgabe: Menschen dabei helfen, neue Gewohnheiten zu entwickeln und alte, ungünstige Gewohnheiten zu verabschieden. Rauchen zu beenden, Bewegung zu beginnen. Junk-Food zu minimieren, gesunde Ernährung zu maximieren.
Die Herausforderung, sich von etwas stabil Ungutem zu verabschieden und zu erwünschtem Neuen zu kommen, ist altbekannt. Schon Patanjali, der Begründer des Yogasystems, sah sich und die bei ihm Lernenden immer wieder vor diese Aufgabe gestellt. Sein Rat war einfach und klar:
Vitarkab?dhane pratipaksabh?vanam - Wenn störende Gedanken auftauchen, kultiviere Gedanken der entgegengesetzten Art.
Yoga Sutra 2.33
Er empfahl, feindselige oder negative Gedanken durch das Nachdenken über das Gegenteil aufzulösen. Wenn dein Geist also die Gewohnheit entwickelt hat, immer wieder gewaltvolle Gedanken zu denken, besteht die uralte Yogatechnik darin, dich bewusst für Gedanken an Liebe und Mitgefühl zu entscheiden.
„Wenn störende Gedanken auftauchen, kultiviere Gedanken der entgegengesetzten Art“ bedeutet:
- bei Groll, dich mit den Möglichkeiten für Vergebung und Loslassen zu beschäftigen;
- bei Angst, innerlich nach realistischen Gründen für Vertrauen und Mut zu suchen;
- bei Schuldgefühlen, nach Möglichkeiten der Wiedergutmachung Ausschau zu halten, sowie nach Wegen, es in Zukunft besser zu machen.
Anstatt ungute Gewohnheiten und Gedanken einfach nicht mehr haben zu wollen, gab Patanjali schon damals den Rat moderner verhaltenstherapeutischer Erkenntnis:
Ersetze altes, stabiles, ungutes Verhalten flexibel und konsequent durch angemessenes, gesünderes, neues Verhalten.
Anstatt zu sagen: „Ich esse nicht mehr so viel Junk-Food“, ist es hilfreicher zu denken: „Ich ernähre mich ab jetzt gesünder.“ Schicke deine Augen nunmehr beim Einkauf auf die Reise zu erkunden, was dir schmeckt und gleichzeitig gesund ist. Die neue Gewohnheit, Gesundes einzukaufen, hat zur Folge, mehr und mehr Gesundes zuhause zu haben und deshalb auch mehr Gesundes zu essen. Zusätzlich hilfreich hat sich dabei die Koppelung von erwünschtem neuem Verhalten mit alten, stabilen, im Alltag immer wieder auftauchenden Gewohnheiten erwiesen.
Sabine, eine leidenschaftliche Globetrotterin, berichtete mir, dass es ihr trotz aller Vorsätze in der Vergangenheit nie gelungen war, ausreichend viel zu trinken. Sie schaffte es einfach nicht. Und dies, obwohl ihr Arzt, den sie wegen immer wieder auftauchender Kopfschmerzen aufgesucht hatte, nach ausführlicher Diagnostik zu dem Ergebnis gekommen war, dass ihre Kopfschmerzen im Wesentlichen das Resultat ihrer ungenügenden Flüssigkeitszufuhr waren.
Die Wende ihrer stabilen Gewohnheit, zu wenig zu trinken, erreichte sie jedoch durch einen einfachen Rat einer balinesischen Heilerin, die sie auf einer ihrer Reisen eben wegen ihrer Kopfschmerzen aufgesucht hatte. Der Rat war einfach und wirkungsvoll:
„Gewöhne dir an, jedes Mal, nachdem du auf der Toilette warst und Flüssigkeit abgegeben hast, erneut Wasser zuzuführen. Trinke ab jetzt einfach zusätzlich zu dem, was du sonst noch zu dir nimmst, jedes Mal nach der Toilette ein paar Schlucke Wasser.“
David Premack, ein amerikanischer Verhaltenspsychologe, formulierte dieses balinesische Weisheitswissen 1962 wissenschaftlich exakt so:
Verhaltensweisen, die mit hoher Häufigkeit auftreten, können als Verstärker für Verhaltensweisen mit niedriger Häufigkeit verwendet werden.
In Bezug auf das tägliche Trinken von Wasser bedeutet das, bei deinen häufigsten wiederkehrenden täglichen Tätigkeiten jeweils davor und danach einen Schluck Wasser zu nehmen: vor dem nächsten Anruf, nach dem nächsten Anruf, vor dem nächsten Schriftstück, nach dem nächsten Schriftstück, vor der nächsten Arbeitshandlung, nach der Arbeitshandlung, und sich symbolisch so naheliegende Gewohnheiten anzueignen wie die, nach Flüssigkeitsabgabe durch Wasserlassen erneut Wasser zuzuführen, also einfach zusätzlich jedes Mal nach der Toilette etwas Wasser zu trinken. Auf diese Weise, durch Anwendung des sogenannten Premack-Prinzips, stellst du sicher, die tägliche empfohlene Tagesdosis von durchschnittlich 1,5 Liter Wasser zu erreichen.
Stabilität und Flexibilität. Flexibel altes, ungutes Stabiles verändern durch Verhalten der gesunden, entgegengesetzten Art, das gekoppelt wird an stabile Gewohnheiten.
Wann immer du dir in deinem Alltag deiner alten, stabilen, unguten Gewohnheiten bewusst wirst, denke an Patanjali und die weise balinesische Heilerin: „Ah – jetzt bin ich wieder ganz verloren in meinen negativen Gedanken … Wie war das noch einmal mit der alten Yogaweisheit? Wenn störende Gedanken auftauchen, kultiviere Gedanken der entgegengesetzten Art.”
Und welches sind die heilsamen entgegengesetzten Gedanken, die gegenteilige Kraft, die diese Gedanken auflöst? Experimentiere damit, wie es sich anfühlt, wenn du dir vorstellst, statt Groll Liebe zu fühlen … Halte zusätzlich Ausschau nach guten Kopplungsmöglichkeiten: Vor oder nach welcher in meinem Alltag stabil verankerten Verhaltensweise möchte ich flexibel ab jetzt meine neue, erwünschte Verhaltensweise ausführen?
Dies ist eine einfache, wirksame Möglichkeit, um zu mehr Lebensfreude zu kommen. Du erlebst dich dadurch immer häufiger dabei, wie du denkst und tust, was du möchtest, einfach weil du das Gegenteil denkst und tust von dem, was du nicht möchtest.
Nicht immer … ABER IMMER ÖFTER.
Dir das Allerbeste
Dein Gert Kowarowsky
… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.
Lust auf mehr positive Denkanstöße in Beiträgen, Podcasts, Videos und Lebensweisheiten? Bestelle den kostenlosen PAL-Newsletter und werde eine oder einer von 40.000 Abonnenten.
PAL steht für praktisch anwendbare Lebenshilfe aus der Hand erfahrener Psychotherapeuten und Coaches. Der Verlag ist spezialisiert auf psychologische Ratgebertexte für psychische Probleme und Krisensituationen, aber auch auf aufbauende Denkanstöße und Inspirationen für ein erfülltes Leben. Alle Ratschläge und Tipps werden auf der Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie, der Gesprächstherapie sowie des systemischen Coachings entwickelt. Mehr zu unserer Arbeit und Methodik hier
PAL Verlagsgesellschaft GmbH
Rilkestr. 10, 80686 München
Tel. für Bestellungen: +49 89/ 901 800 68
Tel. Verlag: +49 89/379 139 48
(Montag–Freitag, 9–13 Uhr)
E-Mail: info@palverlag.de
psychotipps.com
partnerschaft-beziehung.de
lebensfreude-app.de
Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht, dann berichte davon und hilf so auch anderen auf dem Weg in ein zufriedenes Leben. Bitte beachte dabei unsere PAL- Nettiquette, die sich an der allgemeinen Internet-Nettiquette orientiert: Uns ist es wichtig, dass alle Inhalte, auch Kommentare und Beiträge von Leserinnen und Lesern, in respektvollem und wertschätzendem Ton verfasst sind und dem Zweck dienen, sich und andere anzuregen und weiterzubringen. Wir wollen verhindern, dass Menschen vorsätzlich verletzt bzw. Falschaussagen oder versteckte Werbungen verbreitet werden. Daher erlauben wir uns, etwaige Beiträge, die in diese Richtung gehen, zu streichen.