Das Ja im Nein – das Nein im Ja – #143

In diesem Beitrag aus der Reihe "Erfahrungen aus der Praxis" zeigt Gert Kowarowsky, wie es gelingt, ein ganz klares und für uns stimmiges Ja oder Nein zu äußern, und was wir dadurch für uns gewinnen. 

Das Ja im Nein – das Nein im Ja – #143
© PAL Verlag, unter Verwendung einer Illustration von Christina von Puttkamer

Selbstsicher zu sagen, was du möchtest, und selbstsicher zu sagen, was du nicht möchtest, ist nicht immer leicht. In vielen Therapiesitzungen taucht deshalb dieses Thema immer wieder auf:

Sag Ja, wenn du Ja meinst - Sag Nein, wenn du Nein meinst!

Celina arbeitet zurzeit sehr intensiv an diesem Thema: "Wenn mich jemand um etwas bittet, habe ich meistens schon Ja gesagt, bevor ich überhaupt nachdenke, ob ich wirklich dazu die Bereitschaft und die Zeit habe. Und noch mehr hadere ich mit mir, wenn ich mich immer wieder dabei erwische, wie ich Ja sage und eigentlich klar NEIN!!! in mir spüre."

Unsere gemeinsame Analyse ergab schnell den Grund für dieses tiefsitzende Verhalten von ihr.

"Das Wort Ja", meinte Celina, "signalisiert mir meine Bereitschaft, meinen Mut und meine Offenheit, mich prinzipiell auf den Fluss des Lebens einzulassen und zu sehen, was geschieht, wenn ich dem Ja folge, anstatt mich zaudernd hinter einem "Ich weiß nicht" oder "Vielleicht" zu verstecken. Grundsätzlich bin ich tatsächlich mehr für das Ja als für das Nein oder das Vielleicht. Ich bin überzeugt, dass mir meine prinzipielle Bereitschaft, Ja zu sagen, schon ganz viele neue Erfahrungen, Beziehungen und Möglichkeiten eröffnet hat. Für mich bedeutet Ja zu sagen, meinem Gegenüber oder einer Situation prinzipiell Vertrauen entgegenzubringen, auch wenn der Ausgang ungewiss ist."

Ein Ja, das sich nicht stimmig anfühlt, kann uns überfordern

Im weiteren Verlauf unserer Gespräche wurde jedoch immer deutlicher, worin beim Jasagen für sie das zunehmende Unbehagen bestand. Ein Ja, ohne innerlich abzugleichen, ob dieses Ja hier und jetzt auch wirklich stimmig ist, führte Celina nämlich immer wieder auch in Situationen, mit denen sie sich selbst überforderte. Ihr vorliegendes Burnout war die Folge.

In einer der Sitzungen sagte sie lachend: "Ich weiß wohl, dass, wer immer Ja sagt und für alles offen ist, nicht ganz dicht sein kann."
Besonders deutlich empfand sie das Ungesunde und Selbstschädigende an ihrem reflexhaften Jasagen in den Momenten, in denen sie bereits bei einer Anfrage oder Bitte einer anderen Person an sie sofort deutlich spürte, dass sie das nicht wollte oder konnte, oder eben nur unter Aufbietung aller Kräfte.

Doch wie sollte sie aus diesem „Ich-sag-Ja-und-meine-eigentlich-Nein“-Muster herauskommen? Wir richteten deshalb unseren Blick auf die Analyse des Neinsagens.

Ein klares Nein ist ein Zeichen von Selbstachtung

Es stimmt, dass Jasagen Mut und Offenheit bedeutet, sich auf den Fluss des Lebens einzulassen und zu sehen, was geschieht. Ein klares Nein ist jedoch keinesfalls ein Zeichen von Schwäche oder Ablehnung, sondern von Selbstachtung. Es bedeutet ein klares Ja zu dir selbst. Es bedeutet, dir mutig Raum zu schaffen für deine eigenen Bedürfnisse. Es hilft dir, dich abzugrenzen und Missbrauch zu verhindern. Nein zu sagen bedeutet, den Mut aufzubringen, dass dich dein Gegenüber möglicherweise nicht mehr mag.
Sollte jedoch dein Nein wirklich dazu führen, dass du deshalb weniger geliebt wirst, kannst du froh sein, den dich vermeintlich Liebenden oder die dich vermeintlich Liebende entlarvt zu haben als manipulative, egoistische Person, der es nur um die Befriedigung eigener Wünsche und Bedürfnisse geht und nicht wirklich um dich.

Ein ehrliches Nein ist ein vertrauensvolles Ja zu dir selbst

Und immer dann, wenn du ganz genau spürst, dass du Nein sagen möchtest, aber dennoch Ja sagst, hat das Ja definitiv nichts mehr mit Offenheit, Mut und Vertrauen in das Leben zu tun. Dann ist ein solches Ja immer ein Nein zu dir selbst. In solch einem Ja, wenn du eigentlich lieber Nein sagen möchtest, sagst du dann immer machtvoll Nein zu dir selbst. Sagst du jedoch Nein, wenn du ein Nein fühlst und Nein sagen möchtest, dann sagst du ein wirklich mutiges, offenes vertrauensvolles Ja zu dir selbst. 

Celina konnte deutlich erkennen, dass es nicht darum ging, ihr bisheriges gewohnheitsmäßiges Jasagen durch ein reflexhaftes Nein zu ersetzen, sondern klarer zu werden über all die Situationen, in denen das Nein im Ja steckt und das Ja im Nein.

Die Herausforderung bestand anfangs für sie darin herauszufinden, wann sie Ja aus Überzeugung sagte und nicht aus Angst, den Erwartungen ihres Gegenübers nicht zu genügen. Nicht weniger schwierig war es für sie, ein Gespür dafür zu entwickeln, wann sie überzeugt Nein sagte, nicht aus Trotz oder Bequemlichkeit, sondern weil es für sie ein tiefes Ja zu sich selbst bedeutete.

Ein klares, echtes Ja oder Nein stärkt das Selbstwertgefühl und die Lebensfreude

Celina machte dabei eine für sie überraschende Beobachtung. Sie erkannte, dass sie sich jedes Mal, wenn sie ein echtes Ja sagte, energievoll und lebendig fühlte. Sie spürte dann deutlich, dass dieses Ja ganz sicher nicht aus dem Wunsch entstanden war zu gefallen.
Genauso erging es ihr mit ihrem bewusst ausgesprochenen Nein. Jedes Mal wenn sie der Versuchung widerstand, Ja zu sagen, wenn sie Nein meinte, spürte sie, wie ihr Selbstwertgefühl stärker wurde und ihre Lebendigkeit zunahm.
Durch ihren bewussten Umgang mit Ja und Nein bemerkte sie auch in einigen Situationen, dass es sinnvoll war, anstatt sofort Ja oder Nein zu sagen, sich Zeit zu nehmen, in sich hineinzuspüren. Nach solchen kurzen Momenten des Innehaltens, des In-sich-Spürens, des sich Klar-Werdens konnte sie dann den kraftvoll energetischen Strom erhöhter Lebensfreude immer wieder deutlich spüren. Dann war sie sicher:

Ich sage Ja, weil ich Ja meine - und ich sage Nein, weil ich Nein meine.

Genieße DEIN kraftvolles Ja – genieße DEIN klares Nein.
Genieße DEINE Lebensfreude.

Dein Gert Kowarowsky

Erfahrungen aus der Praxis ...

… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.

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Inhalt des Beitrags 
 Ein Ja, das sich nicht stimmig anfühlt, kann uns überfordern
 Ein klares Nein ist ein Zeichen von Selbstachtung
 Ein ehrliches Nein ist ein vertrauensvolles Ja zu dir selbst
 Ein klares, echtes Ja oder Nein stärkt das Selbstwertgefühl und die Lebensfreude
 Erfahrungen aus der Praxis ...
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