Was versteht man unter Achtsamkeit?

Achtsamkeit ist die offene und akzeptierende Haltung gegenüber dem, was man wahrnimmt. Warum ist Achtsamkeit wichtig? Wie kannst du achtsam sein und welche Achtsamkeitsübungen gibt es? Dieser ABC-Beitrag informiert.

Was versteht man unter Achtsamkeit?
© PAL Verlag, unter Verwendung eines Fotomotivs von unsplash.com

Jede und Jeder, egal wie erfolgreich oder glücklich, trifft im Laufe des Lebens auf verschiedene Herausforderungen: Schicksalsschläge, Krisen oder Stress und Belastungen sind Teil des Lebens. Achtsamkeit kann dabei helfen, einen guten Umgang mit diesen Herausforderungen des Lebens zu finden und Zufriedenheit und Lebensfreude zu finden und zu erhalten.

Unter Achtsamkeit versteht man eine offene, neugierige und akzeptierende Haltung gegenüber allem, was man gerade wahrnimmt und tut. Dazu gehören Gedanken, Fantasien, Erinnerungen, Gefühle, Sinneserfahrungen, körperliche Reaktionen und äußere Vorgänge. Achtsamkeit wird häufig mit einer Meditation kombiniert – wie z.B. bei der achtsamkeits-basierten Stressreduktion (MBSR) von Prof. Jon Kabat-Zinn.

Ziel der Achtsamkeit ist es, sich mit allen Sinnen voll und ganz auf das einzulassen, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Ganz bei dem sein, was man gerade erlebt und tut, dem Sonnenaufgang, dem Schmetterling, einem tollen Wein, der tollen Schokolade, der Berührung durch den Partner oder die Partnerin. Unvoreingenommen und neugierig riechen, schmecken, fühlen, staunen und genießen – ohne eine Wertung abzugeben, das ist Achtsamkeit.

Kurzum: Hingabe an den Augenblick!

Warum ist Achtsamkeit wichtig?

Achtsamkeit hilft uns dabei,

  • die Welt neu zu entdecken - z.B. nehmen wir bewusst den Gesang der Vögel wahr oder das fröhliche Kinderlachen vom nahen Spielplatz.
  • uns neu zu erleben - z.B. spüren wir die Wärme der Sonnenstrahlen auf unserer Haut oder schmecken den zarten Schmelz der Schokolade auf unserer Zunge.
  • die Reaktionen unseres Körpers zu verspüren und auch Warnsignale früher zu erkennen - z.B. dass unsere Atmung flacher oder tiefer wird, wir kalte Hände oder einen Kloß im Hals haben.
  • uns besser zu verstehen - z.B. wovor wir Angst haben, wie wir mit Stress umgehen, wann und wie wir uns aus der Fassung bringen.
  • unseren Geist und unser Bewusstsein zu trainieren, indem wir mehr Aufmerksamkeit für unsere Gedanken, Gefühle und körperlichen Reaktionen im Moment verwenden.
  • den Augenblick mehr zu genießen und uns zu entspannen.
  • die Lebensqualität zu steigern.
  • uns zu entspannen.

Achtsamkeit kann anfänglich negative Auswirkungen haben - dann wenn wir plötzlich negative Gefühle wie Trauer oder Einsamkeit in uns empfinden oder uns unangenehme Gedanken bewusst werden.

Der Gewinn für uns macht sich dann erst später bemerkbar, wenn wir gelernt haben, diese Gedanken und Gefühle anzunehmen, oder aber diese Erkenntnisse zum Anlass nehmen, das Problem zu lösen.

Wann sind wir nicht achtsam?

Gewohnheiten, Routine und Unachtsamkeit sind der Feind der Achtsamkeit und führen zu Verdruss und Langeweile, statt zu Genuss.

Nicht achtsam sind wir z.B., wenn wir

  • über ein Erlebnis in der Vergangenheit nachgrübeln.
  • uns um die Zukunft sorgen.
  • auf Autopilot geschaltet haben, und z.B. nicht wahrnehmen, was wir essen, oder wie wir mit dem Auto von A nach B kommen.
  • Tätigkeiten ausführen, die uns in Fleisch und Blut übergegangen sind  wie z.B. Zähneputzen.
  • Tag träumen.
  • das Gefühl haben, nicht mehr zu wissen, wo uns der Kopf steht oder was wir spüren.
  • uns in einer Endlosschleife im Kopf mit unserer to-do-Liste beschäftigen, was wir alles erledigen müssen und vielleicht nicht erledigt bekommen.

Anhand dieser Liste können Sie erkennen, dass wir den überwiegenden Teil unseres Tages nicht achtsam sind. Wir leben im unbewussten Gewohnheitsmodus, lassen uns von äußeren Reizen ablenken, verfangen uns im Sorgenkarussell, folgen alten Denkmustern, usw.

Wie kann man achtsamer sein?

Um in den Genuss der Vorteile der Achtsamkeit kommen zu können, benötigen wir Übung. Am Anfang machen wir die Erfahrung, dass wir abschweifen, uns mit der Zukunft oder der Vergangenheit beschäftigen, unsere Wahrnehmungen als gut oder schlecht bewerten, gegen unsere Gefühle ankämpfen, Gedanken unterbrechen, etc. Erst mit etwas Übung können wir ganz bei dem sein, was wir wahrnehmen und so die Vorteile des Achtsamkeitstrainings genießen.

Was sind Achtsamkeitsübungen?

Achtsamkeit ist eine Fähigkeit, die Sie anhand verschiedener Übungen lernen können. Dabei werden Sie erst einmal sehr überrascht darüber sein, wie wenig Sie im Hier und Jetzt leben. Ein stetiges „Gedankengemurmel“ macht sich ununterbrochen in Ihrem Kopf breit. Sie kommen vom Hölzchen aufs Stöckchen und bewerten sich und die Ereignisse um sich herum. Deshalb ist es gar nicht so einfach, sich in Achtsamkeit zu üben. Es gibt viele unterschiedliche Wege zu mehr Achtsamkeit und auch unterschiedliche Bereiche, in denen Sie beginnen können.

Die Leitfrage ist immer:

Was passiert gerade in mir? Was denke, fühle, sehe, tue und spüre ich körperlich?

Sie lenken Ihre Aufmerksamkeit also bewusst auf das, was Sie gerade wahrnehmen. Alles, was Sie wahrnehmen, darf da sein. Sie kämpfen nicht dagegen an, bewerten es nicht und verurteilen sich nicht dafür. Sie begegnen Ihrer Wahrnehmung mit einem inneren Nicken: „Aha, so ist das im Augenblick“ oder stellen lediglich fest: „Ein Gedanke“ oder „Ein Gefühl“. 

Diesen gelassenen Umgang mit allem, was Sie empfinden – auch Schmerzen oder beunruhigende Gedanken – müssen Sie trainieren.

Gewöhnlich schieben Sie die Gedanken wahrscheinlich schnell weg und wollen sich nicht damit befassen. Oder aber Sie steigen voll auf die Gedanken ein, lassen sich mitreißen, analysieren und beurteilen sie.

Wollen Sie Achtsamkeit lernen, wird es immer wieder passieren, dass Sie sich dabei ertappen, dass Ihre Gedanken abschweifen (Z.B. „Nachher muss ich unbedingt noch ... erledigen“). Ertappen Sie sich beim Abschweifen, werfen Sie sich vielleicht vor: „Mist, ich sollte doch bei meinen Gefühlen bleiben. Ich sollte doch nicht bewerten. Ich sollte doch nicht ...“

Oder Sie machen sich mutlos: „Das ist zu schwer, das schaffe ich doch nie.“ Ein Gegenmittel gegen diese negativen, auftauchenden Gedanken ist: Diese Gedanken nur wahrnehmen und nicht bewerten: „Aha, jetzt habe ich gerade gedacht ...“

Dadurch unterbrechen Sie Ihre Gedankenkette. Bemerken Sie es? Sie können nichts falsch machen. Denn jeder auch noch so “unpassende“ Gedanke ist richtig, wenn Sie ihn einfach nur registrieren, statt dagegen anzukämpfen oder zu bewerten.

Ihre Achtsamkeit verhindern Sie auch, wenn Sie von sich fordern, achtsam zu sein. Sie benötigen diese Forderung nicht, denn alleine durch die Frage: „Was passiert gerade in mir?“ werden Sie achtsam.

Zum Thema Ihrer Achtsamkeit können Sie alles machen.

Sie können z.B. beobachten,

  • was passiert, wenn Sie laufen - z.B. wann und wie Sie den Fuß aufsetzen, abrollen und wann und wie lange er vor dem nächsten Schritt in der Luft ist, ...
  • wie Sie atmen - wo Sie den Atem spüren, wann Sie einatmen, wann und wie Sie ausatmen, wann die Atempause ist, wie sich Ihr Atem anfühlt, wie tief Sie atmen, ...
  • was Sie im Mund spüren, wenn Sie etwas essen - z.B. wie Sie den Bissen hin- und herschieben, kauen, wo auf der Zunge Sie was verspüren, wann Sie hinunterschlucken, ...
  • was Sie generell in Ihrem gesamten Körper verspüren. Hierzu bietet die achtsamkeits-basierte Stress-Reduktion die Übung Körperreise an, bei der man mit seiner Achtsamkeit systematisch von Körperteil zu Körperteil wandert und wahrnimmt, was man empfindet.

Wofür werden Achtsamkeitsübungen eingesetzt?

Achtsamkeitsübungen werden in der Therapie z.B.

So fängst du mit Achtsamkeitübungen an

Keine Angst: Achtsamkeit ist nicht aufwändig, Sie brauchen sich keine halbe Stunde Zeit aus den Rippen zu schneiden.

Im Grunde genügt eine Minute Zeit, in der Sie sich die Frage stellen: „Was passiert gerade in mir?“ Sie können sich auch eine konkrete Sinnesebene auswählen und Ihren Blick bewusst nach außen in die Umwelt richten:

  • Was höre ich gerade?
  • Was sehe ich gerade?
  • Was rieche ich gerade?

Dieser Augenblick der bewussten Achtsamkeit bringt Sie aus Grübel- und Wutgedanken und den Alltagspflichten.

Am Anfang kann es hilfreich für Sie sein, sich ein Signal auszudenken, welches Sie an das Üben der Achtsamkeit erinnert. Dies könnten bestimmte Zeiten (z.B. immer zur vollen Stunde) oder bestimmte Situationen (z.B. beim Zähneputzen) sein.
 

Nutzen Sie Ihr Smartphone als Coach. Je nach Smartphonetyp kann man mit der Kalender- oder Erinnerungsfunktion eine feste Uhrzeit und eine Nachricht eingeben. Sie können sich z.B. zwei Mal am Tag erinnern lassen, achtsamer zu sein. So verlieren Sie Ihr Achtsamkeitstraining nicht aus den Augen. Wenn Sie mehrmals am Tag und über einen längeren Zeitraum üben, entwickeln Sie eine Gewohnheit. Dann läuft es mehr oder weniger automatisch, dass Sie ab und zu innehalten und bewusst wahrnehmen.

Wollen Sie systematischer üben, können Sie z.B. den 8-wöchigen Trainingskurs zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion machen. Viele Psychotherapeuten und Ärzte, aber auch Krankenkassen, Versicherungen und Volkshochschulen bieten diesen an.

Nach wissenschaftlichen Studien hilft dieses Meditationsverfahren beim Stressabbau, bei Angststörungen, Depressionen, chronischen Schmerzen, Bluthochdruck und stärkt generell die seelische Belastbarkeit.

Drei Achtsamkeitsübungen für den Einstieg

Übung 1:  Finde Achtsamkeit in Beziehungen

Wenn Sie heute nach Hause kommen, dann geben Sie Ihrem Partner oder ihrer Partnerin nicht nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange und hauchen ein erschöpftes und vielleicht gestresstes Hallo. Nehmen Sie ihn oder sie stattdessen in den Arm, spüren die Wärme, den Duft, die Berührung, küssen sich innig und genießen diesen Kuss. Schauen Sie sich bewusst in die AUgen, lächeln Sie und sagen Sie sich etwas Nettes.

Seien Sie mit Ihren Sinnen ganz bei dem, was Sie hören, riechen, sehen, schmecken und fühlen. Sie spüren dann vielleicht einen schon lange nicht mehr erlebten Zauber in Ihrer Partnerschaft.

Übung 2: Lernen Sie, dankbar für Ihre Sinne zu sein

Fragen Sie sich, wie es wäre, wenn Sie diese verlieren würden. Nehmen Sie Ihr Umfeld so wahr, als ob Sie morgen erblinden würden. Lauschen Sie den Klängen der Musik und dem Gesang der Vögel, als ob Sie morgen Ihr Gehör verlieren würden. Berühren Sie jeden Gegenstand, als ob Sie morgen Ihren Tastsinn verlieren würden. Riechen Sie die Düfte, als ob Sie morgen Ihren Geruchssinn verlieren würden.

Betrachten Sie Ihre Sinne als Geschenk und seien dankbar dafür. Das ist Achtsamkeit im Alltag. Auch durch ein Genusstraining und bewusstes Erleben können Sie lernen, achtsamer zu leben.

Übung 3: Nippen statt kippen

Wenn Sie einen tollen Wein oder einen frischgespressten Saft trinken, dann nippen Sie daran. Genießen Sie Schluck für Schluck das Aroma des Getränks.

Dasselbe gilt für das Essen. Genießen heißt, voll und ganz bei dem zu sein, was man gerade tut. Das befriedigt und macht zufrieden. Nebenbei, etwa im Gehen zu essen oder zu trinken, ist das komplette Gegenteil von Achtsamkeit!

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