In diesem Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" spricht Gert Kowarowsky über negative Gedanken, die Selbstwertfresser, die uns begleiten, und darüber, wie wir diese inneren abwertenden Überzeugungen entkräften können.
Das Problem Nummer 1 in fast allen Therapien ist die tiefsitzende Überzeugung: Ich bin nicht liebenswert.
Tief sitzt diese Überzeugung, wenn du von klein auf des Öfteren ähnliche Sätze gehört hast wie Anna:
"Wie läufst du denn rum! Mit dir blamiert man sich ja! Du bist sowas von faul! Du bist doch strohdumm! Oh, wie du dich wieder anstellst! Doof geboren und nix dazu gelernt! Du bist voll egoistisch! Du verhältst dich mal wieder unmöglich! Du bist echt peinlich! Du bist einfach eine Memme! Du bist zu fett! Du kriegst nie einen Mann! Wenn die erst mal merken, wie du wirklich bist, werden sie schreiend vor dir davonlaufen …"
Solche oder ähnliche wiederholt gehörte Aussagen sitzen oft so tief in uns, dass wir schon gar nicht mehr wissen, dass sie uns von außen eingetrichtert wurden. Im Laufe der Zeit werden sie zu unguten inneren Selbstgesprächen. Anfangs merken wir gar nicht, wie wir uns genau jene toxischen Sätze immer öfter zu allen passenden oder unpassenden Gelegenheiten selbst sagen. Und tragischerweise sind wir mit der Zeit immer mehr davon überzeugt, dass wir uns mit diesen negativen Gedanken angemessen und realistisch bewerten.
Einige Kolleginnen und Kollegen bezeichnen deshalb diese inneren abwertenden Überzeugungen auch als Selbstwertfresser. Ausnahmslos jede und jeder von uns hat in sich ein, zwei ganz besonders hungrige Selbstwertfresser. Es gibt erfahrungsgemäß einige Lieblingsbereiche, in denen diese Selbstwertfresser hausen und ihr Unwesen treiben. Stürzt sich dein hungrigster Selbstwertfresser am liebsten auf die Nahrung, die er aus der Abwertung deines Aussehens erhält? Oder stürzt er sich besonders gierig auf deine vermeintlich oder tatsächlich eingeschränkt vorhandenen Fähigkeiten im Bereich Sport, Kunst, Musik, Kommunikation, Computer- oder sonstigem Fachwissen? Wird er dabei unterstützt von einem Selbstwertfresser-Kollegen, der dich mit Vorliebe wegen deines Alters schlecht fühlen lässt oder vielleicht, weil du nicht so reich, klug, gebildet, unterhaltsam oder sozial engagiert bist wie andere? Und leider kommt ein Selbstwertfresser selten allein. In jedem von uns tummeln sich immer zwei, drei besonders üble selbstwertfressende Monster mit ihren toxischen Botschaften.
Die Herausforderung in jeder Therapie besteht deshalb darin, diese Unholde immer wieder auf frischer Tat zu erwischen und sich ihre gemeinen Aussagen anzuschauen. Sind die Lieblingsgedanken dann enttarnt, mit denen diese Selbstwertfresser bisher immer wieder an deinem Selbstwert geknabbert haben, können sie erfolgreich entmachtet werden.
Ein Weg besteht darin, zu jedem Abwertungsgedanken den entsprechenden realistischen Gegengedanken zu erarbeiten und diesen nach der Yogaweisheit des Patanjali anzuwenden:
Die dem inneren Frieden entgegengesetzten Gedanken lassen sich handhaben durch das Aufsteigenlassen der Gedanken der entgegengesetzten Art.
Anna lernte ihren besonders hungrigen Selbstwertfresser "Du bist doch strohdumm" zu entmachten, der immer dann ein besonders großes Stück von ihrem Selbstwert verschlang, wenn sie in Situationen war, in denen sie etwas nicht wusste. Mittlerweile tritt sie dem Selbstwertfresser in den Weg, indem sie sich in genau solchen Situationen ganz bewusst sagt: "Ja, das weiß ich nicht! – Und ich muss auch nicht alles wissen! Ich kann mich darum kümmern, wenn ich es wirklich wissen möchte – aber ich kann mir auch die Freiheit nehmen, mich in diesem Bereich nicht auskennen zu müssen!“
Ein anderer Weg, Abstand zu gewinnen zu diesen tiefsitzenden negativen Selbstbewertungen besteht darin, dich auf humorvolle Art und Weise von ihnen emotional zu distanzieren, um ihre toxische Wirkung zu entkräftigen. Anstatt zu glauben, dass das, was du denkst, wahr ist und du dich in deinen Gedanken verstrickst, kannst du lernen, deine Gedanken mit Abstand zu betrachten.
Anna wendet zur Entmachtung ihres mächtigsten Selbstwertfressers deshalb zusätzlich immer wieder, wenn sie allein ist und diesen negativen Gedanken denkt, folgende Strategie an:
Sie geht in die Mitte ihres Zimmers, als sei es eine Konzertbühne, und rappt zuerst, singt dann wie eine Rocksängerin, dann wie eine Opernsängerin, spricht schließlich ganz oft mit einer Micky-Maus-Stimme und verulkt den Satz "Du bist doch strohdumm“ immer alberner, indem sie ihn wie Pumuckl höchstpersönlich ausspricht, bis sie selbst darüber lachen muss.
Das Breitband-Antitoxicum gegenüber selbstwertfressenden, toxischen inneren Selbstvorwurfs-Ohrwürmern ist und bleibt regelmäßige Gehirnwäsche mit einem ganz bestimmten "Waschmittel“. Gehirnwäsche im wahrsten Sinne des Wortes.
Neben dem Aufsteigenlassen der erarbeiteten Gedanken der entgegengesetzten Art, die du den ungesunden Sätzen deiner mächtigsten Selbstwertfresser entgegenhalten kannst, und neben der Strategie, dich von diesen Gedanken zu distanzieren, indem du sie verfremdest, ist eine weitere tägliche Gehirnwäsche mit folgendem "Waschmittel“ ebenfalls sehr hilfreich:
Nimm dir jeden Tag ein paar Minuten Zeit – zum Beispiel vor dem Einschlafen, nach dem Aufwachen, beim Zähneputzen – und sage dir selbst, dass du liebenswert bist, genau so, wie du bist. Du kannst dich dazu auch ganz gemütlich hinsetzen, so wie Anna, die am liebsten ihre Augen dabei schließt und zuerst ein paar Mal laut zu sich selbst, dann leiser werdend, dann nur noch in Gedanken für drei, vier, fünf Minuten sagt: "Anna, du bist liebenswert – genau so, wie du bist. Anna, du bist liebenswert – genau so, wie du bist. Anna, du bist liebenswert – genau so, wie du bist. Anna, du bist liebenswert – genau so, wie du bist …“
Natürlich toben vorhersagbar deine Selbstwertfresser in dir, wenn du beginnst, den Dreck ihrer schmutzigen Gedanken mit solchen reinigenden Worten aus deinem Gehirn zu waschen. Anna konnte sehr differenziert beschreiben, was in ihr während dieser Übung in den ersten Wochen immer wieder ablief: "Meist bombardierten mich meine Selbstwertfresser mit Gedanken wie: So ein Quatsch, das stimmt doch überhaupt nicht! Lüge, Lüge, Lüge – mach dir bloß nichts vor! Die Wahrheit ist: Du bist doof, warst doof und bleibst doof! Und überhaupt: Schau doch bloß in den Spiegel, dann siehst du, wie hässlich du aussiehst! Aber ich wende konsequent an, was ich gelernt habe: Ich akzeptiere, dass bei meiner täglichen Gerhirnwäsche, bei der täglichen Detox-Übung selbstwertabbauende Gedanken auftauchen. Ich registriere sie, schenke ihnen jedoch nicht zu viel Beachtung. Ich kämpfe nicht mit ihnen und versuche auch nicht, sie zu verdrängen. Manchmal muss ich sogar lächeln, wenn ich sie dann in Pumucklsprache in mir höre. Auf jeden Fall fahre ich einfach innerlich unbeirrt fort: Anna, du bist liebenswert – genau so, wie du bist. Anna, du bist liebenswert – genau so, wie du bist …“.
Sei also nicht irritiert, wenn deine alten selbstabwertenden Gedanken noch eine Weile in dir präsent sind, auch wenn du schon begonnen hast, wohlwollende, affirmative, stützende und ermutigende Sätze zu formulieren und sie im Alltag deinen Selbstwertfressern immer wieder entgegenzuhalten. Je mehr du bereit bist, dich gerade solchen Situationen auszusetzen, in denen deine alten Überzeugungen besonders stark aktiviert werden, wirst du mit diesen emotionalen Expositionsübungen deine alten toxischen Botschaften in dir besonders erfolgreich und nachhaltig entmachten können.
Schlechte Zeiten für deine Selbstwertfresser und gute Zeiten für dich!
Genieße deine Lebensfreude!
Genieße in all deinen Zellen die tiefste Wahrheit über dich:
Ja! Du bist liebenswert – genau so, wie du bist!
Dein Gert Kowarowsky
… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.
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