Ich und du – immerzu: Wie pflegst du deine Partnerschaft? – #95

In diesem Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" geht es um unsere Beziehungen. Gert Kowarowsky zeigt 4 Fragen, die wir für uns selbst und mit unsere:r Partner:in beantworten können, um Konflikten vorzubeugen.

Ich und du – immerzu: Wie pflegst du deine Partnerschaft? – #95
© PAL Verlag, unter Verwendung einer Illustration von Christina von Puttkamer

Das Thema Partnerschaft wird nicht nur in der Partnertherapie beleuchtet, sondern unvermeidlich auch in jeder Einzeltherapie. Einfach deshalb, weil viele Belastungssituationen durch ein oftmals sehr unterschiedliches Verständnis von Gemeinsamkeit verschärft werden.

Welche Herausforderungen erleben wir in Beziehungen?

Immer wenn zwei Menschen ein gemeinsames Leben miteinander leben möchten – ob für immer oder als Lebensabschnittsgefährt:innen –, stellt sich die Herausforderung, vier grundlegend voneinander verschiedene Lebensbereiche miteinander in Einklang zu bringen:

  1. Zeit für dich ganz allein,
  2. Zeit mit anderen Menschen jenseits der Partnerschaft,
  3. Zeit gemeinsam mit Partner/Partnerin und anderen Menschen,
  4. Zeit der Zweisamkeit.

Viele Konflikte können beendet werden oder entstehen erst gar nicht, wenn du und dein Partner, du und deine Partnerin – wenn ihr beide ein klares Bild davon habt, wie euer Miteinander und auch das temporäre Ohne-Einander aussehen sollen. Und wenn es euch gelingt, einander klar zu vermitteln, wie genau ihr euch das vorstellt.

Schöner als mit der Sprache der Wissenschaft und Therapie hat diese Aufgabe Khalil Gibran formuliert:

„Liebet einander, doch macht die Liebe nicht zur Fessel: Schaffet eher daraus ein webendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen. Und stehet beieinander, doch nicht zu nahe beieinander: Denn die Säulen des Tempels stehen einzeln, und Eichbaum und Zypresse wachsen nicht im gegenseitigen Schatten.“

4 Fragen, die du für dich beantworten kannst

Ganz häufig empfehle ich deshalb den Menschen, die zu mir in Therapie kommen, sich Zeit für eine Antwort auf die folgenden Fragen zu nehmen. Meist empfehle ich ihnen, dass sie ihre Partnerin oder ihren Partner darum bitten, dies ebenfalls zu tun. Wenn du möchtest, nimm auch du dir ein Blatt Papier (oder deine Tastatur), nimm dir zehn Minuten Zeit und schaue, welche Bilder, Gedanken, Gefühle bei den folgenden Fragen auftauchen. Notiere sie dir:

Mein eigenes, individuelles Leben

Bei aller Freude am partnerschaftlichen Zusammensein, gibt es Bereiche in deinem Leben, die du für dich ganz allein brauchst. Was ist es, was du immer wieder ganz für dich allein tun möchtest? Welche Zeiten brauchst du für dich – ganz ohne deine Partnerin, ganz ohne deinen Partner?

Regine notierte hier für sich: „Wenn ich von der Arbeit komme, brauche ich erst einmal Zeit für mich. Entweder verbringe ich mindestens eine halbe Stunde ganz für mich allein in meinem Zimmer oder, wenn das Wetter passt, lasse ich mir Zeit auf dem Heimweg und drehe noch eine Runde durch den Park.“

Stefan schrieb: „Wenn ich an meinem Fahrrad herumschraube oder im Internet nach Ersatzteilen suche, möchte ich das in Ruhe tun können und dabei nicht gestört werden.“

Mein Leben mit anderen, jenseits der Partnerschaft

Bei aller Freude an deiner Partnerschaft gibt es Bereiche in deinem Leben, die du für dich – ohne deine Partnerin, ohne deinen Partner – zusammen mit anderen verbringen möchtest. Was möchtest du immer wieder ganz für dich allein mit anderen tun? Welche Zeiten brauchst du für dich ohne deinen Partner, ohne deine Partnerin zusammen mit anderen?

Regine notierte hier für sich: „Zweimal in der Woche mich mit meinen Freunden treffen – ohne Stefan.“

Stefan schrieb: „Mountainbiken mit meinen Kumpels, wenn´s anliegt.“

Mein Leben mit dir und anderen zusammen

Bei aller Freude an der Zweisamkeit gibt es Bereiche in deinem Leben, die du mit deinem Partner, mit deiner Partnerin und zusammen mit anderen verbringen möchtest. Was möchtest du immer wieder mit deinem Partner, mit deiner Partnerin zusammen mit anderen tun? Welche Zeiten möchtest du dafür nutzen?

Regine notierte hier für sich: „Ich wünsche mir, dass wir wenigstens einmal in der Woche etwas mit unseren gemeinsamen Freunden unternehmen.“

Stefan schrieb: „Mir macht es immer große Freude, wenn wir zwei gemeinsam mit anderen Menschen an unserem Öko-Projekt arbeiten, für das wir uns beide engagieren.“

Mein Leben in tiefster Verbundenheit und Ausschließlichkeit mit dir

Bei allen eigenen und sozialen Bedürfnissen hast du natürlicherweise den Wunsch, wieder und wieder nur und ausschließlich mit ihr oder ihm Zeit zu verbringen.

Was sind deine Vorstellungen dazu? Was möchtest du in dieser Zeit der Zweisamkeit leben?

Regine notierte hier für sich: „Ich wünsche mir mehr gemeinsame Erlebnisse, die über die Alltagserfahrungen hinausgehen. Das kann ein Konzertbesuch sein oder eine Übernachtung in einer Almhütte, eine Ausstellung, ein Picknick am See oder sonst etwas Besonderes.“

Stefan schrieb: „Ich wünsche mir immer wieder ganze Tage und Nächte mit dir alleine zuhause – ohne Müssen, ohne Sollen, ohne Smartphone. Nur wir zwei pur.“

Die Herausforderung besteht nun darin, sich danach zusammenzusetzen und gemeinsam nach Lösungen für vermeintliche Unvereinbarkeiten zu suchen. Meiner Erfahrung nach sind Paare meistens sehr kreativ dabei, passende Lösungen zu finden. Vor allem die Paare, die sich darüber einig sind, sich wechselseitig als Herausforderung und Unterstützung für Wachstum zu sehen. Die sich einig darüber sind: Ja, wir sind uns einander eine Chance, in Liebe zu lernen, immer genauer auf uns selbst zu schauen. Zu sehen, welche Trips abgehen, welche Gefühlswellen und Wallungen, welche Gedankenmuster, welche Verhaltensweisen. Und ja, wir sind bereit, unsere alten Überlebensregeln miteinander zu erforschen und uns darin zu unterstützen, neue, gesündere, Lebensfreude fördernde Gedanken und Verhaltensweisen zu erarbeiten.

Gebt einander emotionale Unterstützung.
Zeigt einander eure Zuneigung.

… und lasst euch von Khalil Gibrans weisen Worten wieder und wieder inspirieren:

Liebet einander, doch macht die Liebe nicht zur Fessel.

Euer

Gert Kowarowsky

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