Selbstablehnung und Selbstkritik – wie entstehen sie?

Selbstablehnung, Selbstkritik und Selbsthass – woher kommen diese selbstzerstörenden Gefühle? Woher kommt die negative Stimme in uns, die uns klein und Angst macht, nicht in Ordnung zu sein?

Selbstablehnung und Selbstkritik – wie entstehen sie?
© Sharon McCutcheon, unsplash.com

Warum leiden viele Menschen unter einer geringen Selbstachtung und einem geringen Selbstvertrauen? Antwort gibt dieser Beitrag.

Der innere Kritiker und seine Werkzeuge

In den ersten Lebensjahren sind wir emotional und körperlich sehr stark von unseren Eltern abhängig. Wir können noch nicht für uns selbst sorgen und brauchen unsere Eltern und Erzieher, um überleben zu können. Deshalb dürfen wir es auch nicht mit ihnen verscherzen. Wir müssen uns an deren Spielregeln halten und diese befolgen. Unsere Anpassung und Unterordnung ist überlebensnotwendig. In diesem Stadium unserer Entwicklung lernen wir, die Kritik unserer Eltern und Erzieher bezüglich unserer Fehler und Schwächen zu übernehmen und uns selbst für unsere Fehler und Schwächen, unsere vermeintliche Unvollkommenheit, zu beurteilen und zu verurteilen. Der Kritiker in uns ist geboren.

Alexandra schreibt am 14.5.2015 im Beitrag über Selbstvertrauen

Schon seit frühester Kindheit habe ich immer wieder gehört, dass ich so, wie ich bin, nicht richtig bin. Zu laut, zu nervig, faul, manipulativ, an der Krankheit meiner Mutter schuld usw. Ein Kind glaubt das alles und verinnerlicht es.

Erst haben uns die Eltern gesagt, was wir nicht tun sollten und was schlecht ist, später verinnerlichen wir die Worte und sagen uns selbst: Das tut man nicht. Das ist schlecht. Du solltest das nicht tun. Du solltest ... sein. Kennen Sie Äußerungen Ihrer Eltern wie die folgenden?

  • "Mit dir hat man nur Ärger."
  • "Lass das."
  • "Warum hörst du nicht auf mich?"
  • "Wie kann man nur so blöd sein?"
  • "Das geschieht dir Recht."
  • "Was hast du dir dabei nur gedacht?"

Je öfter wir solche Worte hörten, umso mehr hatten wir den Eindruck, etwas müsse mit uns nicht stimmen. Wir denken uns: Wenn ich in Ordnung wäre, dann würde man nicht so mit mir reden und mich so behandeln. Folglich muss mit mir etwas nicht stimmen, dass man permanent so über mich und mit mir redet.

Dieses Gefühl, nicht in Ordnung zu sein, ist so tief in uns verwurzelt und so zu einem Teil unserer Persönlichkeit geworden, dass wir es als richtig erachten. Unsere Selbstverachtung scheint uns deshalb gerechtfertigt. Und deshalb übernehmen wir als Jugendliche und Erwachsene unsere Bestrafung selbst.

Wir lernen, die Selbstbestrafung und Selbstverurteilung als ein wichtiges Hilfsmittel anzusehen, um unsere (vermeintliche) Unvollkommenheit zu überwinden und so zu werden, wie wir sein sollten. Ja, wir werden in der Selbstbestrafung und im Ändern unseres Verhaltens so gut, dass wir unsere "Fehler" korrigieren und uns anpassen, ehe unsere Mitmenschen merken, dass wir unvollkommen sind. Wir lernen der Bestrafung und Ablehnung der anderen zu entgehen, indem wir lernen, uns selbst zu bestrafen und unser Verhalten zu korrigieren.

Wir verinnerlichen diese Selbstbeurteilung und Selbstverurteilung (das was man tun und nicht tun sollte, was gut und schlecht, moralisch und unmoralisch) so sehr, dass wir als Erwachsene die Autorität des Kritikers nicht in Frage stellen. Er und seine verurteilenden Kommentare fühlen sich ebenso richtig und zu uns gehörig an, wie unsere Arme und Beine. Die Stimme des Kritikers klingt so unfehlbar, als käme sie direkt von Gott oder dem Papst. Wir kommen deshalb gar nicht auf die Idee, dass der Kritiker ein überflüssiges Relikt aus einer Zeit sein könnte, als wir noch von unseren Eltern abhängig waren.

Und wir übersehen, dass die Einhaltung vieler dieser Regeln für uns als Erwachsene nicht mehr sinnvoll und nützlich ist. Und schon gar nicht macht es Sinn, dass wir uns für die Verletzung von Regeln, die für uns keine Richtigkeit haben, in Form von Selbstablehnung oder gar Selbsthass bestrafen. Sehr viel wichtiger ist jedoch etwas anderes: als Kinder waren wir nicht unvollkommen, hatten wir keine Fehler und Schwächen – außer klein und unerfahren zu sein.

Unsere „Fehler“ und „Schwächen“ bestanden darin, dass wir die Spielregeln der Erwachsenen nicht kannten und/oder nicht so waren, wie unsere Eltern und Erzieher uns haben wollten. Durch die Androhung von Liebesentzug oder tatsächlichem Liebesentzug, durch missbilligende Blicke und abwertende Gesten folgerten wir, wir seien unvollkommen und nicht gut genug, um geliebt zu werden.

Und noch etwas lernen wir. Wir lernen: ohne Strafe, keine Veränderung. Wir denken: Wenn ich mich selbst nicht für meine Fehler und Unvollkommenheit verurteile und bestrafe, dann werde ich diesen Fehler wieder machen und dann wird alles noch schlimmer.

Selbstbestrafung macht aus uns keine besseren Menschen.

Die Vorstellung, sich angesichts eigener Fehler und Schwächen gut zu fühlen, ist ausgeschlossen. Nur durch Selbstbestrafung, so denken wir, werden wir zu guten Menschen. Also machen wir uns ständig selbst fertig. Wir tun, sagen, denken oder fühlen etwas Schlechtes, fühlen uns schuldig und bestrafen uns für unsere Unvollkommenheit, um sicher zu gehen, dass wir nicht noch einmal so denken, fühlen und handeln. Wenn wir so mit uns umgehen, dann tun wir das Gleiche, was auch unsere Eltern taten. Wir behandeln uns so, wie uns unsere Eltern behandelt haben.

Doch was hat all die Bestrafung unserer Eltern, all die Selbstbestrafung und Selbstverurteilung bislang bewirkt? Sind wir perfekt geworden? Haben wir unsere Unvollkommenheiten überwunden? Sind wir fehlerlose oder bessere Menschen geworden?

Nein. Alle Selbstbestrafung hat nichts daran geändert, dass wir auch als Erwachsene Fehler machen und uns gelegentlich dumm benehmen. Viele Menschen kommen sich ihr ganzes Leben lang unvollkommen und minderwertig vor, haben das Gefühl, mit ihnen stimme etwas nicht.

Entweder resignieren sie und fühlen sich überfordert und deprimiert, oder aber sie versuchen Tag für Tag zu der Person zu werden, die sie glauben, sein zu müssen, um sich endlich akzeptieren zu können und um endlich von anderen akzeptiert zu werden. Und viele Menschen wissen noch nicht einmal genau, was mit ihnen nicht stimmt. Sie haben einfach nur permanent das dumpfe Gefühl, minderwertig und nutzlos zu sein und hassen sich dafür.

Deshalb tun wir gut daran, damit aufzuhören. Selbstbestrafung ist nicht das geeignete Mittel ist, um aus uns "bessere" Menschen zu machen?

 

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Andrea schreibt am 04.01.2023

Vieles im Beitrag genannte, kommt meiner Erfahrung sehr nahe.

Aber in gewisser Hinsicht ist es dann doch ganz anders bei mir:

Ich habe von meiner Mutter stets Ablehnung in der Kindheit erfahren. Von meinem Vater in mancher Hinsicht auch. Aber durch einen Jesusfilm, kann ich zu dem Schluss, dass Gott mich haben wollte und ich ganz ok bin und deshalb etwas mit meinen Eltern nicht stimmen kann.

Da ich das meinen Eltern klar machen wollte, begann ich, mich noch schlechter zu benehmen und zu fühlen, als das bis daher, durch meine Eltern geschah. Ich wollte provozieren und damit etwas verändern. Aber alles wurde dadurch natürlich noch schlimmer. Also dachte ich: Ihr meint ich bin schlecht? Gut, dann werde ich richtig schlecht sein. Ihr meint, ich kann nichts? Gut, dann werde ich überhaupt nichts können. Ihr werdet schon noch sehen, wie unglücklich ich euretwegen sein werde und dann werdet ihr Schuld dran haben, dass es mir so schlecht geht. " Ich wollte also irgendwie meine Eltern bestrafen, indem ich mich selbst bestraft habe. Hat natürlich nicht funktioniert. Aber ich komme da jetzt selbst irgendwie nicht mehr raus.

Ein Teil von mir findet mich ok, wie ich bin. Ein Teil nicht. Ein Teil von mir, liebt mich und will, dass es mir gut geht. Ein Teil von mir jedoch nicht. Ein Teil will Heilung in dieser Sache erfahren und ein Teil leider nicht.

Da hilft mir das oben beschriebene nicht wirklich weiter.


Schucki schreibt am 19.04.2020

Ich lese das Buch so gewinnen Sie mehr Selbstvertrauen. Es hat mich auf den richtigen Weg gebracht aber ich denke es dauert viele Jahre bis die negativen Gefühle verschwinden. Man will z.B. stolz auf einen Leistung sein aber die Gefühle sagen nö


Lisa schreibt am 03.10.2019

Hallo ihr Lieben,Ich war ein sehr glückliches Kind und wurde zu einem wunderschönen Mädchen. In der Jugend hab ich sehr viel Neid erfahren. Meine Mama war Abergläubig und hat jedem Hellseher/ Wahrsager und, und, und... geglaubt. Als ich 7 Klasse war hat meine neidische Freundin angefangen mit Engeln zu reden und Gott. Meine Mama hat es natürlich geglaubt. Mich hat es total eingeschüchtert und verängstigt. Eines Tagse meinte dass Medium mir sagen zu müssen was die Leute über mich denken,... Ich sei dumm, die Männer wollen nur das eine von mir und ich Sei Ein böser Mensch..Das hat Mich sooooooo tief getroffen, dass für Mich die Welt zusammen gebrochenen ist.. Ich hab aufgehört Einsen zu schreiben, mich nur noch zurück gezogen und mich extrem selbst gehasst.. Das war eine. Sehr schlimme Zeit für mich. In meinem Kopf hab mir vorgestellt wie ich mir weh tue. Mein Bewusstsein hat das soooo verinnerlicht, dass es mir heute mit 29 noch wahnsinnig schwer fällt mich selbst zu lieben. Zu meine Mutter hab ich leider auch keinen guten Kontakt. Die will davon nix hören. Deswegen kann ich das ganz gut nachvollziehen, wenn sich Menschen Kritik sehr zu Herzen nehmen. Das sollte man nicht. Jeder ist individuell und sehr speziell und schön auf seine Art.Menschen, denen es nicht gut geht kann ich sofort erkennen. Man sieht den Schmerzen von anderen. Glaub an Euch:-*


E Holo schreibt am 29.06.2019

Mein Kritiker,kritisiert mich u.a. für mein langsames und unproduktives arbeiten. Ganz klar, dass (laut meinem Kritiker) jeder von mir denken muss, dass ich faul bin. Sonst wäre ja schon alles erledigt / geputzt ist. Ich ärgere und verachte mich dafür, wenn ich mir doch eigentlich mehr vorgenommen habe. Und deshalb ertrage ich es nicht, wenn Besuch kommt und dieser dann anfängt sauber zu machen, z.B. Schwiegerelten. Weil ich dadurch ein schlechtes Gewissen bekomme. Wäre ich normal, müsste man mir meinen "Dreck" ja nicht hinterher räumen... Ich bin selbst schuld, weil zu langsam. Und das Gleiche denkt natürlich auch der Besuch (Schwiegereltern) von mir, klar! Nichts anderes ist plausibel, ich käme ja schließlich auch nicht auf die Idee bei Personen zu putzen, wo ich eingeladen bin.Das (unkontrollierbare) schlechte Gewissen wandelt sich dann in innere Wut, die ich besser kontrollieren kann, vermeintlich. Tatsächlich schlucke ich dann die Wut runter. Bitter ja, aber wenigstens nicht so unerträglich abscheulich wie das schlechte Gewissen. Ich habe die Konfrontation immer gemieden, weil ich dann ja ausgesprochen und somit zugegeben hätte, das ich faul bin. Wenn das alle denken okay, aber laut aussprechen und es damit womöglich zuzugeben? Niemals!Diesen Zusammenhang habe ich erst jetzt beim Schreiben erkannt. Krass! Tja, da wird das nächste Mal wohl ein Gespräch stattfinden, sachlich, höflich aber direkt.


Sonne schreibt am 11.07.2018

Als Kind und junge Frau glaubte ich, dass es nur mir so erging, dass nur ich von meinen Eltern behandelt wurde als sei ich nicht erwünscht. Das war ein großer Irrtum. Es gibt sie überall, die scheinbar Erwachsenen, welche nicht erwachsen werden durften. Denn Eltern, die ihre Kinder verprügeln, sie mobben, ihnen keinerlei positive Zuwendung geben, verhindern ein Erwachsenwerden. Sie verhindern genau das, was sie eigentlich erreichen wollen. Eine unendlich traurige Wahrheit.Wenn wir dann das sind was sie aus uns gemacht haben, werden wir weiterhin nicht geliebt. Weil unsere Eltern nicht fähig sind zu lieben.


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 Selbstbestrafung macht aus uns keine besseren Menschen.
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