Emotionale Entfremdung: Isolation und sozialen Rückzug überwinden

In Krisensituationen ziehen sich viele Menschen von anderen zurück, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Mit dieser emotionalen Entfremdung können sie sich schaden. 3 Tipps zeigen dir, wie du helfen kannst.

Emotionale Entfremdung: Isolation und sozialen Rückzug überwinden
© Kaleigh Cornell, unsplash.com

Wir sind im Laufe unseres Lebens immer wieder verbalen oder sogar körperlichen Angriffen ausgesetzt, erleben Enttäuschungen und Niederlagen, stehen vor schier unlösbaren Problemen oder stecken in tiefen Krisen. Das beginnt in der frühen Kindheit und kann uns bis ins Alter begleiten. Nur wenige Ereignisse reichen aus, um seelischen Schaden und tiefe Verletzungen zu hinterlassen. Kein Wunder also, dass wir uns davor schützen wollen, uns eine dicke Haut, ja einen Panzer zulegen. Doch was geschieht, wenn dieser uns irgendwann nicht nur von unserer Außenwelt fernhält, sondern uns immer mehr isoliert? Dann gilt es gegenzusteuern und Wege zu finden, um wieder am Leben teilzunehmen und seine positiven Seiten genießen zu können.

Emotionale Entfremdung ist ein Schutzmechanismus gegen seelische Verletzungen

Wenn Menschen sich innerlich immer mehr zurückziehen, tun sie das meistens aus Angst vor seelischen Verletzungen. Vielleicht haben sie auch ein traumatisches Erlebnis hinter sich, vielleicht erfahren sie in ihren Gefühlen und Bedürfnissen keine Erfüllung. Dann kriechen sie in ihr unsichtbares Schneckenhaus oder bauen eine dicke Mauer zu ihren Mitmenschen auf – einfach, um einen Ort in sich zu haben, an dem sie sicher sind. 

Das ist ein nachvollziehbarer Schutzmechanismus unserer Psyche. Und doch bringt er eine Reihe an Nachteilen und Leid mit sich – für die Person selbst, die sich zurückzieht, aber auch für ihr Umfeld. Denn Isolation, in der Psychologie emotionale Entfremdung genannt, geschieht oft unsichtbar, ist dabei kompromisslos und so anderen kaum vermittelbar und von außen nur schwer verständlich.

Die Betroffenen sind ja nicht plötzlich weg, sie nehmen am Leben teil, oft auch sehr aktiv. Gleichzeitig werden sie immer unnahbarer, ohne eine Bindung oder eine Zuneigung anderen gegenüber zu zeigen. Dazu kommt, dass die Entfremdung meist unbewusst beginnt und nicht selten so weit geht, bis sie sich sogar von sich selbst entfremden. Dann fühlen sie sich von allem überfordert, sind schnell erschöpft und finden keine Strategien mehr, um ihren Zustand zu ändern oder sich wieder zu öffnen.

Aber wie können wir uns davor schützen, selbst in diese emotionale Negativspirale zu geraten, wie können wir uns davon befreien und wie können wir auf Betroffene zugehen und mit ihnen leben?

Wie können wir emotionaler Entfremdung entgegensteuern?

Wenn es uns nicht gelingt, jemanden wirklich an uns heranzulassen oder uns von anderen distanzieren, wenn wir uns innerlich zurückziehen oder emotionslos auf andere reagieren, muss das noch längst kein Anzeichen für eine psychische Störung sein. Dennoch sollten wir diese Verhaltensweisen an uns ernst nehmen. Es können wertvolle Hinweise sein, dass wir die Verbindung und das Vertrauen zu unserem Umfeld verlieren und uns innerlich isolieren.

Wollen wir dem entgegensteuern, sollten wir zunächst uns selbst und unseren Gemütszustand wahrnehmen und ihn anerkennen, anstatt vorschnell darüber zu urteilen. Hält er an oder kommt er immer wieder, dann sollten wir nach den Ursachen suchen:

  • Was nimmt uns das Gefühl der Sicherheit bei anderen?
  • Warum schrecken uns Gefühlsäußerungen eher ab?
  • Was macht uns Angst?
  • Was treibt uns weg von anderen?
  • Warum ziehen wir uns aus dem Spiel?

Die Antworten können vielfältig sein und durchaus auch schmerzlich. Daher ist es ratsam, für diesen Prozess die professionelle Unterstützung von Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie psychiatrischen Fachärztinnen und Fachärzten zu suchen. Es gibt viele schwerwiegende Gründe und Auslöser für eine emotionale Entfremdung wie eine Kränkung oder Mobbing, Überarbeitung oder eine Depression, eine posttraumatische Belastungsstörung oder auch eine Persönlichkeitsstörung.

Commitment-Therapie: Ein Weg aus der sozialen Isolation

Wenn wir die Ursachen erkannt haben, geht es an die aktive Bearbeitung und Konfrontation mit dem eigentlichen Problem, den zugrundeliegenden negativen Überzeugungen, Denkmustern und Verhaltensweisen.

Im Rahmen einer Psychotherapie bekommen wir konkrete Bewältigungsstrategien an die Hand, um emotionale Fähigkeiten zu entwickeln, uns schrittweise aus unserer Situation zu befreien. Beispielsweise lernen Patientinnen und Patienten in der sogenannten Commitment-Therapie (übersetzt: Verpflichtungstherapie) Selbsthilfetechniken anzuwenden, mit deren Hilfe sie sich über ihre Gefühle bewusst werden und diese besser kontrollieren können.

Und schließlich müssen wir auf diesem Weg mit uns geduldig sein. Denn die emotionale Entfremdung ist eine große Hürde. Aber es ist auch alle Mühen wert, sie zu überwinden. Denn das Leben hat viel mehr zu bieten, als aus einem Schneckenhaus heraus erkennbar wäre.

3 Tipps, wie du Menschen unterstützen kannst, die sich emotional entfremden

Auch wenn du nicht selbst von emotionaler Entfremdung betroffen bist, wirst du ihr immer wieder in deinem persönlichen Umfeld begegnen. Mit den folgenden Strategien und Hilfestellungen kannst du den Menschen aktiv begleiten, ohne selbst Schaden zu nehmen und dich zu verlieren.

Tipp 1: Sei achtsam zu dir selbst und zur betroffenen Person

Selten ist die buddhistische Achtsamkeitstechnik, eine Situation oder einem Menschen, offen, aufmerksam und wertfrei zu begegnen, so hilfreich wie gegenüber einem emotional entfremdeten Menschen. Konzentriere dich immer wieder darauf, den gegenwärtigen Moment zu wahrzunehmen. Was geschieht in eurer Begegnung jetzt? Wie reagierst du körperlich und emotional auf die oder den anderen. Wie verhält sich dieser Mensch dir gegenüber? Akzeptiere, was geschieht und lass das genauso stehen. Bist du enttäuscht, weil du keinen Zugang findest, dann lass das Gefühl zu. Und dann sprich aus, was dich bewegt – ohne Vorwurf oder Bedauern, einfach nur was ist. Du kannst sicher sein, auch wenn dein Gegenüber in diesem Augenblick nicht darauf zu reagieren scheint, deine Worte werden seine Mauern überwinden. Und wenn du daraufhin angesprochen wirst, dann nimm auch das wahr, beobachte, was es mit dir macht, und äußere dich dazu. Ein emotional entfremdeter Mensch ist keine Maschine, die keine Gefühle hat. Er wird dich nicht verletzen wollen. 

Tipp 2: Bleibe in Beziehung

Menschen, die sich emotional isolieren, brauchen Beziehungen und emotionale Verbundenheit, um auf ihrem Weg voranzukommen. Paradox ist, dass sie gerade das am wenigsten können: eine Beziehung zu leben. Viele Partnerschaften gehen über die Jahre durch emotionale Entfremdung eines oder beider Partnerinnen und Partner in die Brüche. Es liegt also an dir, aktiv in der Beziehung zu bleiben, wenn nötig nachzugehen, immer wieder ans Schneckenhaus zu klopfen. Versuche dabei, den betroffenen Menschen zu verstehen und seine Bedürfnisse herauszufinden. Und sei dir sicher, es ist nicht nur Ruhe und Alleinsein. Auch emotional entfremdete Menschen haben eine Vielzahl an individuellen und sozialen Bedürfnissen. Hilf dabei, sie zu entdecken. 

Tipp 3: Finde eine Balance zwischen Fürsorge und Selbstschutz

So viel du auch für einen Menschen tun willst, der emotional entfremdet ist, am Ende geht es immer auch um dich und um dein Leben. Du willst ein glückliches und zufriedenes Leben führen. Sieh also die Beziehung zu diesem Menschen als eine Herausforderung und Aufgabe an, aber hüte dich davor, dich für diese Beziehung und für ihn selbst aufzugeben. Du bist verantwortlich – vor allem für dich. Selbst wenn es sich bei der anderen Person um deine Partnerin oder deinen Partner oder ein nahes Familienmitglied handelt, sollte deine Aufmerksamkeit immer auch dir selbst und deinem Wohlbefinden gelten. Das macht dich stark und gibt dir genügend Stabilität und Standhaftigkeit, um sie an die oder den Betroffenen weiterzugeben.

Wenn du dir die Balance bewusst machst, kannst du Menschen dabei helfen, sich Schritt für Schritt aus ihrer Seelenmauer zu befreien und mit dir an ihrer Seite ins Leben zu gehen.

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 Emotionale Entfremdung ist ein Schutzmechanismus gegen seelische Verletzungen
 Wie können wir emotionaler Entfremdung entgegensteuern?
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