Was ist Positive Psychologie? Dieser ABC-Beitrag erklärt anschaulich eine der einflussreichsten modernen Strömungen der Psychotherapie und des Coachings.
Die Positive Psychologie ist eine vergleichsweise neue Richtung der Psychologie, die sich unter anderem mit den Stärken und Ressourcen des Menschen befasst. Dazu gehören die menschlichen Tugenden und Aspekte wie Humor, Dankbarkeit, Religiosität, Optimismus oder Altruismus. Die Positive Psychologie zeigt Wege auf, wie sich (wieder) auf das Positive besonnen werden kann und wie wir unser Leben positiv auszurichten.
Sie gewinnt immer mehr an Bedeutung, da unser Bewusstsein für die Freude und das Glück wächst.
Die Positive Psychologie befasst sich explizit mit positiven Aspekten des Menschseins. Es geht nicht darum, was fehlt, sondern darum, was bereits da ist und was – wie psychische Probleme – messbar, einschätzbar und beeinflussbar ist. Wir finden nach diesem Ansatz idealerweise Frieden mit unserer Vergangenheit, kultivieren die Freude im Hier und Jetzt und schauen optimistisch in die Zukunft.
Damit setzt die Positive Psychologie neue Akzente in der Betrachtung des Menschen und bereichert sowohl die klinische Praxis als auch das Forschungsfeld. Begründer der Positiven Psychologie sind die Psychologen Abraham Maslow in den 1950er und später in den 1990er Jahren Martin Seligman. Grundlage ist ein humanistisches Menschenbild.
Fragen, die die Positive Psychologie beschäftigen, sind zum Beispiel:
Wir alle wollen möglichst gut leben und Gutes tun. Wenn wir an wichtige Persönlichkeiten wie Mutter Theresa, Mahatma Gandhi oder Martin Luther King denken, wissen wir, was gemeint ist. Wir können auch im Kleinen jeden Tag ein bisschen besser werden und das Beste aus uns hervorholen. Damit ist nicht Perfektionismus oder ‘Selbstverwirklichungswahn’ gemeint, sondern, dass wir nutzen, was wir bereits haben und in uns tragen.
Die Psychologen Christopher Petersen und Martin Seligman definierten Tugenden, denen wiederum bestimmte Charakterstärken zugeordnet sind. Die Tugenden stellen zentrale Werte des Menschen dar, die auch als Eigenschaften oder Kernmerkmale aufgefasst werden. Sie sind sozusagen ein menschliches Ideal, von dem wir alle etwas in uns tragen. Die Tugenden drücken sich wiederum durch bestimmte Charakterstärken aus, die die Basis dafür sind, wie wir unser Leben gestalten. Je nach Typ zeigen wir bestimmte Eigenschaften mehr oder weniger und unterscheiden uns im Ausdruck und in der Priorität unserer Werte.
Zu den sechs Tugenden gehören:
Wir sind wissbegierig und haben Freude am Lernen. Wir drücken darüber z.B. unsere Kreativität aus.
Mut zeigen wir, wenn wir uns trauen, unwegsame Wege zu gehen, und wenn wir weitergehen, auch wenn wir aufgeben möchten. Im Idealfall zeigen wir bei unseren Vorhaben Ausdauer. Wir sind zudem ehrlich und authentisch.
Wenn wir lieben und Liebe zulassen, zeigen wir uns im tiefsten Sinne menschlich. Wir zeigen uns zudem freundlich und großzügig.
Wir interessieren uns dafür, dass es allen gut geht und möchten, dass es fair zugeht.
Wir bewegen uns in der goldenen Mitte, können uns also beispielsweise selbst regulieren oder anderen Menschen vergeben.
Wir sind dankbar, humorvoll oder religiös.
Seligman fand eine Verbreitung von Tugenden und Stärken über verschiedene Kulturen hinweg. Auch zeigen Studien, dass wir positive Tugenden kultivieren können. Hier drei Beispiele zur Verdeutlichung:
Wir alle wollen glücklich sein. Mit Glück assoziieren wir ein schönes Leben – weg von Trauer, Depression und Langeweile hin zu Erfüllung und Leben. Doch oft fehlen uns die Zutaten für eine gehörige (oder wenigstens kleine) Portion Glück. Wir denken oft an die großen Umbrüche, an etwas, das wir uns von außen beschaffen oder etwas, das wir bekommen, um glücklicher zu werden. Doch die Lösung scheint viel einfacher zu sein.
Martin Seligman entwickelte ein Modell für das Glück. Im sogenannten PERMA-Modell (Positive Emotions, Engagement, Relationships, Meaning and Accomplishments) beschreibt er fünf Aspekte, die uns helfen können, das Glück zu steigern.
Sich gut zu fühlen und positiv in die Zukunft zu blicken, macht uns glücklich – auch wenn nicht immer alles glatt läuft. Die Frage ist also, wie wir uns ein Wohlgefühl bescheren. Und das fängt meistens bei unseren Gedanken an.
Wenn wir in etwas aufgehen, was uns Freude bereitet, macht uns das glücklich. Wenn wir z.B. gerne in der Natur spazieren gehen oder Musik hören und dabei die Zeit vergessen, empfinden wir so etwas wie Glück. Wir sprechen vom Flow. Flow ist Hingabe.
Beziehungen sind ein zentraler Schlüssel für unser Glück. Wir fühlen uns aufgehoben – in guten und in schlechten Tagen. Das macht uns glücklich.
Wenn wir etwas tun, was unserem Leben Sinn gibt, tun wir auch etwas für unser Glück. Jede und jeder mag darin etwas anderes sehen. Meistens finden wir den Sinn in einfachen Dingen.
Wenn wir etwas erreichen, auf das wir stolz sein können, macht uns das zufrieden und glücklich. Es lohnt sich also, sich Ziele zu setzen und ihnen nachzugehen.
Dieses Modell können wir auf verschiedene Lebensbereiche anwenden und schauen, ob und wie sich unser Leben durch die Beherzigung dieser Aspekte zum Positiven verändert.
Wir neigen dazu, die Dinge nach außen zu delegieren. Und das Außen ist meistens ein Spiegel von uns selbst.
In der Psychotherapie gibt es unterschiedliche Ansätze. Die Positive Psychotherapie nach Tayyab Rashid und Martin Seligman beruht auf der Aktivierung der Ressourcen und Stärken und ist verhaltenstherapeutisch ausgerichtet. In der Therapie werden die positiven Aspekte herausgearbeitet und trainiert. Ein Bestandteil der Übungen ist z.B. ein Dankbarkeitstagebuch. Patient:innen werden befähigt, selbst wesentlichen Einfluss auf die eigene Heilung zu nehmen. Seligman sieht in Ansätzen der Positiven Psychologie mindestens eine Ergänzung zu traditionellen Psychotherapieformen und zeigt auf, dass sie zumindest teilweise tatsächlich glücklicher machen können.
Auch im beruflichen Kontext hat sich die Positive Psychologie etabliert. ‘positive leadership’ geht ursprünglich auf den Informatiker Kim Cameron zurück und entwickelt sich zunehmend weiter. Dabei geht es ebenfalls darum, die Stärken und Ressourcen der Mitarbeitenden zu kennen und entsprechend einzusetzen und zu fördern. Ziel ist unter anderem, das Selbstwirksamkeitserleben zu stärken, den Teamgeist, die Arbeitszufriedenheit und Produktivität zu erhöhen.
Bei allem Guten, was das Positive verspricht, sind unser Dasein und unser Leben komplex. Wir stehen in ständiger Wechselwirkung mit der Umwelt, und die Realität zeigt uns manchmal einfach auf, dass nicht alles nur ‘rosig’ ist und es immer eine gesunde Mischung braucht. Der Trend geht zunehmend dahin, auch negative Emotionen und Situationen sowie unsere Schwächen und menschlichen Fehler als Bestandteil des Lebens zu sehen und zu integrieren. So wird ihnen der Beigeschmack des Negativen oder Defizitären genommen. Wir streben alle nach Glück und Erfolg, aber das ist eben nicht alles, sondern ein Bestandteil des Lebens wie vieles andere.
Ein Optimist ist ein Mensch, der alles halb so schlimm oder doppelt so gut findet.
– Heinz Rühmann
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