Unser Wissen ändert sich je nach Bewusstseinszustand – #124

In diesem Beitrag aus der Reihe „Erfahrungen aus der Praxis“ zeigt Gert Kowarowsky, dass Veränderungen unweigerlich zu unserem Leben gehören und warum es sich lohnt, den Mut zu haben und unsere Entscheidungen und Einstellungen von Zeit zu Zeit zu ändern.

Unser Wissen ändert sich je nach Bewusstseinszustand – #124
© PAL Verlag, unter Verwendung einer Illustration von Christina von Puttkamer

Jean Piaget, ein Schweizer Entwicklungspsychologe, hat sehr schön beschrieben, wie sich die Sichtweise von Kindern auf die Welt stufenweise verändert. Wenn ein kleines Kind etwas aus seinem Bettchen hinausgeworfen und es somit nicht mehr zum Spielen zur Verfügung hat, wirft es einfach noch ein zweites Spielzeug hinterher.

Erwachsene, die das sehen, werden denken: "Aha, jetzt ist mein Kind wütend und schmeißt aus Zorn auch noch sein zweites Spielzeug weg." Würde das eine erwachsene Person getan haben, wäre das wahrscheinlich eine gute Erklärung. Für das Kind sieht die Situation aber völlig anders aus: Das erste Spielzeug ist weg und liegt draußen, unerreichbar vor dem Bettchen auf dem Boden. Kein Problem, denkt das Kind auf seine eigene Art und Weise. Ich werfe einfach noch ein zweites Spielzeug hinterher, das holt mir dann bestimmt das erste wieder zurück …

So entwickelt sich unser Denken als Kind

Diese magische Sicht auf die Dinge verändert sich natürlich im Laufe der Zeit. Fallen zwischen dem zweiten und höchstens dem siebten Lebensjahr Gläser um, dann ist es für das Kind noch ganz klar: "Oh, das Glas ist müde geworden …". Das erscheint deshalb naheliegend, da es ja selbst oft genug die Erfahrung gemacht hat, dass es leichter umfällt, wenn es müde ist.
Spätestens ab dem Alter von sieben Jahren wird sich die Vorstellung darüber ändern, warum Dinge so geschehen, wie sie geschehen. Ein Glas fällt dann nicht mehr um, weil es müde geworden ist, sondern weil es umgestoßen wurde.

Und das zehnjährige Kind wird ein heruntergefallenes Spielzeug nicht mehr durch das Hinterherwerfen eines zweiten Spielzeugs zurückholen wollen. Das größere Kind hat ein anderes Bewusstsein. Sein Wissen ist nun anders. Das Spielzeug muss jetzt aktiv wieder heraufgeholt werden. 

Neben den von der Hirnreifung abhängigen Stadien der Entwicklung deines Denkens spielen jedoch auch Umwelteinflüsse eine große Rolle. Hast du ältere Geschwister, die schon schwierigere Spiele spielen können, schwierigere Legobauten erstellen, wirst du mit vier Jahren selbst deutlich schwierigere Objekte bauen können als ein anderes vierjähriges Kind, das die letzten vier Jahre nur allein mit seinen Legosteinen gespielt hat.

Veränderung ist das einzig Konstante im Leben

Wissen und das daraus folgende Handeln ist strukturiert im Bewusstsein. Und da sich dein Bewusstsein ganz natürlich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt, verändert sich auch deine Sichtweise auf vieles in der Welt um dich herum. Jede neue Erfahrung, die du machst, jede neue Information, die du erhältst, kann deine Meinung über etwas Bestimmtes verändern. Und das kann von einem Moment auf den anderen geschehen.

Scheue dich also nicht, heute deine Sichtweise von gestern zu ändern, wenn du gute Gründe hast, etwas neu zu sehen, neu zu bewerten, neu zu behandeln.
Konrad Adenauer, der von 1949 bis 1963 Bundeskanzler war, ist ein berühmtes Beispiel für einen Menschen, der seine Meinung änderte, wenn neue Informationen oder Umstände dies erforderten, und er stand öffentlich dafür ein. Der Satz:

"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!"

wird ihm genauso zugeschrieben, wie der protokollierte Satz aus einer Fraktionssitzung:

"Aber meine Herren, es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden."

Ja, das einzig Konstante im Leben ist Veränderung. Du kannst dich wirklich jeden Tag dafür entscheiden, deine Vorstellung von etwas zu ändern, wenn es dafür gute Gründe gibt. Du hast sowohl die Freiheit, dich persönlich weiterzuentwickeln, als auch die Herausforderung, dich gemäß deinen neuen Erkenntnissen zu verhalten. Stabilität und Flexibilität sind dabei hilfreiche Pfeiler und oftmals Schlüssel zum Erfolg.

Warum es sich lohnt, Entscheidungen und Einstellungen zu ändern

Die Entscheidung, dich dazu zu bekennen, dass du jetzt, gemäß deinem jetzigen Bewusstseinszustand, etwas anders siehst als zuvor, erfordert zugegebenermaßen bisweilen etwas Mut. Mut jedoch, der sich lohnt.

Die bewusste Entscheidung, deine Bewertungen und Einstellungen zu ändern, führt vorhersagbar zu mehr Lebensfreude und einem erfüllteren und erfolgreicheren Leben. Du bist dadurch flexibler und anpassungsfähiger. Dies ist in einer sich ständig verändernden Welt von unschätzbarem Wert und hilft dir sicherlich dabei, deine Ziele effektiver zu erreichen.

Erfreue dich an neuen Informationen, an neuen Sichtweisen, an neuen Eindrücken auf deinen Reisen und deinen Streifzügen durch gute Literatur. Erfreue dich an Gesprächen mit Menschen, die unterschiedliche Perspektiven haben, die aus anderen Kulturen, aus anderen Denk- und Lebenswelten kommen. Erfreue dich an den Veränderungen deiner Sichtweise auf die Welt, die sich einstellt durch Zeiten des Selbstrückbezugs, durch tägliche Zeiten der Stille.

Sei offen für neue Erfahrungen. Schnuppere an so vielen Honigtöpfen des Lebens wie möglich. Lerne immer wieder Neues. Folge dem, was dich anzieht, lass dich immer wieder ein. Sichtweisen und Bewertungen verändern sich am nachhaltigsten durch neue Erfahrungen.

Genieße die Fülle der Vielschichtigkeit des Lebens! Genieße die Vielschichtigkeit deines eigenen Bewusstseins! Genieße den Wechsel von Ruhe und Aktivität!

Behalte dir deine kindliche Neugier bis ins hohe Lebensalter!

Dein Gert Kowarowsky

Erfahrungen aus der Praxis …

… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.

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