Der Mensch denkt, er lenkt … – #106

In diesem Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" zeigt Gert Kowarowsky, dass wir nicht wirklich immer an alles denken müssen und stellt 6 Techniken und Methoden vor, um im Hier und Jetzt anzukommen.

Der Mensch denkt, er lenkt … – #106
© PAL Verlag, unter Verwendung einer Illustration von Christina von Puttkamer

Emily kam in meine Praxis und berichtete: „Ich habe ganz oft das Gefühl, von Gedanken überwältigt zu sein. Ich plane und plane und versuche, alle Details im Voraus zu berücksichtigen. Manchmal geht es um die Arbeit, manchmal um die Familie, den Freundeskreis, die Gesundheit oder die Zukunft. Manchmal erscheint es mir, ich müsste alles bedenken, was schiefgehen könnte, um es irgendwie zu vermeiden, bevor es eintritt. Manchmal verliere ich mich aber auch in Gedankenschleifen darüber, was ich tun oder nicht tun sollte, was andere von mir erwarten oder zu welchen Erwartungen an mich selbst ich mich verpflichtet fühle.“

Kommt dir das bekannt vor?

Müssen wir wirklich immer alles im Voraus perfekt planen?

In intensiven Phasen der Vorbereitung oder Veränderung steigt tatsächlich bei fast allen von uns die Tendenz, an alles denken zu wollen, um ja alles richtig zu machen. Um ja jeder möglichen Kritik vorzubeugen. Um ja alles perfekt vorauszuplanen.

Doch ist das wirklich notwendig? Müssen wir wirklich immer an alles denken? Alles im Voraus perfekt planen? Die Antwort ist nein. Natürlich ist es wichtig, dass du verantwortungsbewusst bist, dich um deine Angelegenheiten kümmerst und dich um deine Lieben sorgst. Aber das bedeutet nicht, dass du dir ständig Sorgen machen, grübeln oder dich selbst kritisieren musst. Das ist nicht nur ungesund für deinen Geist und deinen Körper, sondern auch kontraproduktiv für deine Lebensfreude und deinen Erfolg.

Warum? Einfach, weil du, wenn du versuchst, immer an alles zu denken, das Wesentliche verpasst, nämlich den gegenwärtigen Moment. Und der gegenwärtige Moment ist der einzige, in dem du handeln kannst. Der vergangene Moment ist vorbei, der zukünftige ist noch nicht da. Je klarer und detaillierter aber deine Vorstellungen davon sind, wie die Zukunft sein sollte, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du nicht angemessen reagieren kannst, wenn das Leben sich nicht an deinen großartigen Plan hält.

Über den Sinn und Unsinn, einen Plan zu schmieden

Der Mensch denkt – und der Fluss des Lebens hat oft seinen eigenen ungewöhnlichen Verlauf. Das Leben lässt sich um so erfolgreicher leben, je mehr du in der Lage bist, präsent zu sein für das, was hier und jetzt da ist. Und ja, es ist besser einen Plan zu haben und ihn zu ändern, als keinen Plan zu haben.

Bleib wach für das, was tatsächlich passiert, um angemessen darauf reagieren zu können. Wenn du dein Ziel klar vor Augen hast und bereit bist, flexibel mit deinen Wunschvorstellungen und Vorbereitungen umzugehen, wirst du leichter deine Ziele erreichen. Lass dich immer wieder ein auf den Fluss des Lebens – jenseits deiner manchmal zwanghaften Vorstellungen, wie es denn unbedingt laufen sollte, wie es denn unbedingt sein müsste.

Dein Leben besteht aus einer ständigen Folge von Momenten. Wenn du diese Momente mit unnötigen Gedanken füllst, du so damit beschäftigt bist, dich an deine Pläne, Erwartungen zu halten und deine Ängste zu vermeiden, dann verpasst du die Gelegenheit, eben diese Momente, das Leben an sich, zu genießen und zu schätzen. Durch zu viel Planung, Kontrolle und Denken verlierst du ganz oft die Möglichkeit, kreativ, spontan und flexibel zu sein und angemessen auf die aktuelle neue Situation zu reagieren, die anders verläuft, als du es dir vorgestellt hast.

Emily meinte: „Das ist ja alles schön und gut, aber wie soll denn eine erfolgreiche Zielerreichung möglich sein, wenn ich nicht alles haarklein vorausplane und immer wieder alles durchdenke?“
Einfach, indem du dir immer wieder Vorbereitungsdenkpausen gönnst, nach denen du den aktuellen Fluss des Lebens wieder klarer sehen kannst. Wie also legt man vorausplanend Denkpausen ein? Es gibt tatsächlich einige einfache Strategien, die ich Menschen wie Emily vorschlage, ihren heißlaufenden Planungsgeist zu beruhigen und wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Ich benutze gerne das Bild des Bauchladens, in den du einige Techniken und Methoden legen kannst, die dir passend erscheinen, um dieses Ziel zu erreichen.

6 Techniken und Methoden, um im Hier und Jetzt anzukommen

Vorschlag 1:Atmen

Atme! Atme tiefer als normal. Atme bewusster als normal. Bereits dreimal tief ein- und auszuatmen kann dir helfen, dich zu entspannen, deinen Herzschlag zu senken und deinen Blutdruck zu regulieren. Bewusst zu atmen hilft dir immer auch dabei, deine Aufmerksamkeit auf deinen Körper zu lenken und dich dabei zu unterstützen, dich von deinen Gedankenströmen zu lösen.

Vorschlag 2:Meditieren

Es gibt sehr viele verschiedene Meditationstechniken – ein gemeinsamer Nenner ist der Umgang mit Gedanken. Meditation lehrt dich, deine Gedanken zu beobachten, ohne sie zu bewerten, zu analysieren oder zu kontrollieren. Durch Meditation kannst du lernen, deine Gedanken kommen und gehen zu lassen, ohne dich von ihnen mitreißen zu lassen.

In inzwischen unzählig vielen Untersuchungen, auch in meiner eigenen Diplomarbeit, lässt sich die ganze Bandbreite der guten Auswirkungen von Meditation nachlesen. Meditation hilft nicht nur dabei, aus dem übervorausplanenden und die Zukunft kontrollieren wollenden „Jonny Controlletti-Modus“ herauszukommen; sie kann auch deine emotionale Intelligenz, dein Selbstbewusstsein und dein Mitgefühl verbessern.

Vorschlag 3:Schreiben

Wenn ich Schreiben empfehle, meine ich Schreiben mit der Hand – nicht mit der Tastatur. Schreiben ist eine wunderbare Möglichkeit, deine Gedanken auszudrücken, ohne sie zu unterdrücken oder zu verstärken. Indem du deine Gedanken auf Papier bringst, kannst du sie klarer sehen, ihnen eine Struktur geben und sie loslassen. Schreiben kann außerdem deine Kreativität, dein Gedächtnis und deine Problemlösungsfähigkeit fördern.

Vorschlag 4:Sprechen

Wenn der Gedankenkrautsalat in deinem Kopf zu drängend wird, rede! Sprich mit jemandem, der oder dem du vertraust. Meist siehst du dann wieder klarer. Deine Sicht auf die Dinge erweitert sich. Deine Gefühle glätten sich.

Vorschlag 5:Gibberish

Vielleicht ist gerade kein vertrauter Mensch in der Nähe, mit dem du dich austauschen kannst. Vielleicht möchtest du dich gerade mit niemandem darüber austauschen. Dann brabbele in einer Phantasiesprache vor dich hin, während dein Gedankenkarussell läuft. Gib dir ein bisschen Zeit für diese dir vermutlich ungewohnte Technik. Vielleicht wirst du laut dabei, vielleicht emotional, vielleicht musst du auch lachen. Jedenfalls erhältst du eine Art „Gehirnwäsche“ im besten Sinne.

Vorschlag 6:Handeln

„Move, breathe, and make a sound!“ Anstatt versteinert in der Ecke zu sitzen und dich immer tiefer ins Grübeln und Zerdenken zu begeben, tue etwas. Bewege dich, atme intensiv und bewusst, erlaube dir, dabei zu tönen. Ob du dabei tanzt, auf und ab hüpfst oder nur hin- und hergehst, ist dabei nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, dich zu bewegen, dich aus der Erstarrung zu lösen.

Wenn du mal ganz in deine Planungsgedanken verwickelt bist und dir wünschst, wieder in etwas größeren Abstand zu deiner inneren Gedankenmaschine zu kommen, kann es sehr hilfreich sein, etwas zu tun, das dir Spaß macht, dich herausfordert oder einen praktischen Nutzen hat. Dadurch verlieren Gedanken ihre Oberhoheit über dich. Im wahrsten Sinne des Wortes kommst du dadurch wieder zu Sinnen und deine Lebensfreude kann wieder leichter fließen.

Diese Goldnuggets in deinem Bauchladen sind natürlich nicht die einzigen, die dir helfen können, dich nicht ständig in Gedanken zu verlieren und blind zu werden für das, was ist. Du kannst deine eigenen hinzufügen. Ist es für dich Sport, Musik hören, kreatives Gestalten, lesen, lachen, spielen, träumen oder einfach tun, was du willst – zum Beispiel nichts? Das Wichtigste ist, dass es dir gelingt, mehr Abstand zu deiner inneren Wortmaschine zu finden und deine noch so genialen Planungsgedanken immer dann wieder loslassen zu können, wenn sie dir nicht mehr dienen. Weil zum Beispiel das Leben einmal mehr eine ungeplante Überraschung für dich auf deinem Zielerreichungsweg bereitgehalten hat.

Der beste Plan ist, zu genießen …

Der Mensch denkt – und oft genug geht es nach unseren Vorstellungen und Planungen. Aber häufig geht es auch anders. Deshalb: Genieße es, Pläne zu schmieden – und genieße es, deine Pläne auch wieder zu verändern oder gar ganz über den Haufen zu werfen.

Genieße all das, was dich glücklich macht, was dich wachsen lässt, was dich lebendig fühlen lässt – auch wenn es sich außerhalb deiner Planungen einfach so, völlig ungeplant in deinem Alltagsleben ergibt.

Life is what happens to us while we are busy making other plans.

John Lennon

Dein

Gert Kowarowsky

Erfahrungen aus der Praxis …

… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.

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