Hast du Angst, im Mittelpunkt zu stehen? Schüchternheit kann uns hemmen und innerlich einengen. In diesem ABC-Beitrag erfährst du Wissenswertes zum Umgang mit Schüchternheit.
Ob wir schüchtern sind oder nicht, lässt sich unter anderem anhand folgender Fragen beantworten:
Wenn du einige oder sogar alle dieser Fragen mit ‘ja’ beantwortet hast, bist du vermutlich schüchtern. Schüchternheit ist eine Eigenschaft, die wir meist übergreifend zeigen. Schüchterne Menschen haben tendenziell ein geringeres Selbstwertgefühl und -vertrauen und denken eher negativ von sich.
Schüchternheit zeigt sich in vier Bereichen:
Betroffene quälen sich mit der Sorge, dass andere schlecht über sie denken könnten. Sie fordern von sich Fehlerlosigkeit und Perfektion. Sie beschäftigen sich stark mit sich selbst und ihrer Außenwirkung, anstatt ihre Aufmerksamkeit dem momentanen Geschehen zu widmen. Sie haben eine schlechte Meinung von sich und glauben, sich mit ihrem Verhalten und ihrer Person lächerlich zu machen. Deshalb haben sie Angst, abgelehnt zu werden. Sie neigen zum Grübeln.
Ein Beispiel: Du hältst zum ersten Mal einen längeren Workshop vor einer größeren Menschenmenge. Der Gedanke daran beschäftigt dich schon im Vorfeld. Du bereitest dich sehr gut vor, um ja nichts falsch zu machen. Während des Workshops fragst du dich, ob es den Teilnehmenden wohl gefällt und was sie über dich denken. Nach dem Workshop grübelst du noch länger darüber nach.
Betroffene verspüren Unsicherheit, Hemmungen und Angst.
Ein Beispiel: Du fühlst dich bereits im Vorfeld des Workshops ängstlich. In der Situation selbst bist du unsicher und gestresst.
Da schüchterne Menschen unbekannte zwischenmenschliche Situationen eher als eine Bedrohung ansehen, reagiert ihr Körper mit typischen Stressreaktionen:
Ein Beispiel: Während des Workshops hast du eine beschleunigte Herzfrequenz, feucht-kalte Hände, dein Kopf wird rot und der Magen zieht sich zusammen.
Betroffene meiden je nach Grad der Schüchternheit Situationen, in denen sie befürchten, sich lächerlich machen zu können, oder sie treten sie mit ausgeprägtem Lampenfieber an. Sie verzichten auf Forderungen, halten mit ihrer Meinung eher hinter dem Berg, erzählen wenig oder nichts von sich, sind allerdings eher gute Zuhörende und stellen Fragen, verbergen tendenziell ihre Gefühle, nehmen weniger oder sogar keinen Kontakt auf oder ziehen sich generell eher zurück. Sie versuchen auch manchmal, ihre Unsicherheit hinter einer coolen Fassade zu verstecken und wirken dadurch arrogant und überheblich.
Ein Beispiel: Du verhältst dich während des Workshops schüchtern und zurückhaltend, sprichst mit leiser Stimme und überlässt eher dem Publikum das Feld.
Schüchternheit übernehmen wir von den Eltern oder erlernen sie. Es wird von einer vererbten Komponente ausgegangen.
Der Erziehungsstil der Eltern und die Erfahrung mit Gleichaltrigen spielen eine große Rolle. So haben betroffene Kinder das ängstliche Verhalten bei ihren Eltern beobachtet, sie wurden überbehütet oder besonders streng erzogen. In gewissen Altersstufen ist Schüchternheit völlig normal. Schüchternheit kann sich auch später noch entwickeln, z.B. wenn wir im Jugend- oder sogar Erwachsenenalter die Erfahrung machen, ausgegrenzt zu werden und uns das veranlasst, an uns zu zweifeln. Mit zunehmendem Alter kann die Schüchternheit nachlassen.
Entsprechende Lernerfahrungen speichern Betroffene in Form von negativen Einstellungen und Bildern ab. Sie haben Katastrophenerwartungen: "Die oder der andere wird mich ablehnen, das kann ich nicht ertragen". Auch haben viele schüchterne Menschen ein negatives Selbstbild: "Ich bin nicht in Ordnung; mit mir stimmt etwas nicht". Beides erzeugt Angst.
Ein weiterer Begriff, der in diesem Zusammenhang oft fällt, ist die soziale Angst oder soziale Phobie. Der Unterschied zwischen Schüchternheit und sozialer Phobie ist eher quantitativ.
Menschen, die unter einer sozialen Phobie leiden, sind noch stärker in ihrem Leben eingeschränkt als schüchterne Menschen. Sie haben stärkere Ängste im zwischenmenschlichen Bereich, vor allem in spezifischen Situationen sowie Schwierigkeiten, ihren Alltag zu bewältigen (z. B. in der Öffentlichkeit zu sprechen, zu essen, zu trinken, vor anderen zu schreiben, sich evtl. sogar mit Menschen zu treffen, einkaufen zu gehen etc.). Auch leiden sie noch mehr unter den durch Schüchternheit entstehenden körperlichen Beschwerden.
Schüchterne Menschen leiden bis zu einem gewissen Grad darunter, dass sie sozial eingeschränkt sind, können aber etwas dagegen tun. Introversion ist eine Veranlagung, die mit Schüchternheit einhergehen kann, aber nicht muss. Introvertierte Menschen können die Gegenwart anderer genießen, ebenso wie – in dosierter Form – im Mittelpunkt zu stehen oder sich etwas Neuem zu öffnen. Sie haben aber ein stärkeres Bedürfnis nach Einkehr, Alleinsein, Ruhe und Rückzug als extrovertierte Menschen. Sie erleben diese Neigung in der Regel nicht als Belastung, sondern sind damit im Einklang.
Bei einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeit sind die Betroffenen sozial noch stärker eingeschränkt als bei der sozialen Phobie. Das Erleben von Scham, Unsicherheit und Kontakthemmung aufgrund der Angst vor Kritik sind universell und an die Persönlichkeit geknüpft.
Es gibt unterschiedliche Folgen von Schüchternheit:
Schüchternheit ist nicht in Stein gemeißelt. Wir können etwas daran ändern. Wenn Ängste und Einschränkungen uns deutlich in unserer Lebensführung und -qualität beeinträchtigen, z. B. wenn wir wenig Anschluss oder nur schwer eine Partnerin oder einen Partner finden, unser Handlungsradius deutlich eingeschränkt ist und wir uns auch beruflich eingeschränkt fühlen, ist es sinnvoll, dass wir an der Schüchternheit arbeiten.
Aus einem schüchternen Menschen wird allerdings nur selten ein arenenfüllender Alleinunterhalter. Doch können Schüchterne ihre sozialen Fähigkeiten erweitern und verbessern. Sie können ihr Selbstvertrauen stärken und lernen, sich ungezwungener in der Gegenwart anderer zu fühlen, ihre Meinung zu äußern und ihre Rechte einzufordern.
Schüchternheit muss nicht besiegt werden, wenn die Schüchternheit zum Beispiel nicht so stark ausgeprägt ist, wir sie als Teil von uns integriert haben, ohne uns allzu eingeschränkt zu fühlen, oder wir nicht wirklich unter ihr leiden.
Denke deine Katastrophenerwartung bis zum Ende weiter:
Nehme deine Gedanken und Glaubenssätze ins Visier und wandle sie ins Positive um. Wir können lernen, unsere Schüchternheit als eine Stärke zu sehen und sie für uns zu nutzen.
In dem Maße, in dem du dich akzeptieren lernst, bist du auch weniger schüchtern. Du kannst lernen, die Überzeugung zu entwickeln, dass du ein liebenswerter Mensch bist und auch anderen etwas zu bieten hast. Dafür kannst du dir täglich selbstbejahende Sätze sagen wie: „Ich habe viele Stärken“. Auch kannst du nahestehende Menschen fragen, was sie an dir mögen.
Male dir möglichst lebendig aus, wie du ruhig auf andere zugehst und ein Gespräch beginnst. Je eher du dich in der Rolle eines gelassenen und selbstbewussten Menschen siehst, desto einfacher gelingt es dir, selbstbewusst aufzutreten. Dafür kannst du bewusst Affirmationen wählen, die dir dabei helfen, dich täglich auf ‘Erfolgskurs’ zu programmieren, z. B.: "Ich bin selbstbewusst und gehe auf andere zu". Auch eine regelmäßig ausgeübte Meditation mit Visualisierung, z. B. wie wir eine Situation meistern, kann unterstützend wirken. Dafür benötigen wir aber etwas Übung.
Nehme Blickkontakt auf, halte ihn und lächle immer wieder einmal freundlich. So signalisierst du anderen, dass du Kontakt aufnehmen möchtest. Du selbst fühlst dich mit einer veränderten Körpersprache sicherer und wohler. Dafür kannst du auch mal bewusst in den Körper hineinspüren und dich mit ihm verbinden:
Stelle dir kleine Aufgaben, die du dann auch ausführst. Nur durch Übung kannst du lernen, selbstbewusster aufzutreten und dich freier zu fühlen. Es hilft also, wenn wir nach und nach aus unserer Komfortzone gehen (z. B. mal alleine eine Veranstaltung besuchen oder auf eine Person zugehen, jemanden anlächeln, in sozialen Medien sichtbar werden etc.). Professionelle Begleitung kann dabei hilfreich sein.
Je mehr du dich schämst schüchtern und gehemmt zu sein, desto schüchterner und verkrampfter bist du. Deshalb: Lerne deine Schüchternheit anzunehmen. Schüchtern zu sein ist keine Schande und nichts, wofür wir uns verurteilen müssen. Statt zu bewerten, können wir uns also darin üben, einfach zu beobachten, wie es uns geht, und sagen: "Es ist in Ordnung!"
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